Autobauer simuliert Arbeitswelt von morgen

Dingolfing (dpa) – Der demografische Wandel stellt auch die Industrie vor große Herausforderungen. In den Belegschaften der Fabriken werden künftig immer mehr ältere Arbeiter sein, schließlich steigt auch der Altersdurchschnitt der Bevölkerung an.

Die Unternehmen bekommen es dann verstärkt mit Beschäftigten zu tun, die kleine Schrift nicht mehr gut entziffern können oder Probleme haben, stundenlang neben dem Laufband zu stehen. Um die Arbeitsplätze an die Anforderungen der Älteren anzupassen, hat BMW in Dingolfing ein Pilotprojekt gestartet. Dort gibt es nun eine Produktionsstraße, in der heute schon nach den angenommenen Bedingungen des Jahres 2018 Achsgetriebe montiert werden.

Dabei sind es eher Kleinigkeiten, die einen Arbeitsplatz für Ältere angenehmer machen. So haben die Teilnehmer des Pilotprojekts Lupen mit einer zusätzlichen Beleuchtung, um die Beschriftung auf den Bauteilen besser lesen zu können. Die Schrift der Computermonitore wurde etwas vergrößert und die in Kopfhöhe angebrachten Bildschirme zur optimalen Lesbarkeit etwas geneigt. Deutlichste Veränderung ist der Boden. Statt auf nacktem, harten Beton stehen die Monteure auf weichem, federndem Parkett.

Auch die Sicherheitsschuhe der Mitarbeiter sind nun bequemer. Ein Schuster passt jedes Paar individuell dem Gewicht und der Fußbreite des Arbeiters an. Damit die Beschäftigten nicht acht Stunden lang Stehen müssen, hat der Autokonzern spezielle Hocker mit einer Sitzfläche ähnlich eines Reitsattels angeschafft. «Der Stuhl kommt eigentlich aus dem Friseurbereich, aber wir haben ihn für unsere Anforderungen etwas angepasst», erklärt der Leiter der Dingolfinger Achsgetriebefertigung, Helmut Mauermann.

Damit die Arbeiter nicht ermüden oder sich verspannen, gibt es an jedem Arbeitsplatz ein Poster mit kleinen Dehnübungen. Die Monteure sollen während ihres Jobs dann immer wieder einmal etwas für ihre Schultergürtelmuskulatur, die Unterarmmuskeln oder andere Problembereiche machen. Manchmal kommt auch eine Physiotherapeutin ins Werk und zeigt einzelnen Beschäftigten zwischendurch an der Sprossenwand nebenan Trainingseinheiten. «Wir haben uns überlegt, ob wir wie in Japan kollektive Übungen machen, aber das würde in Niederbayern keine Akzeptanz finden», sagt Mauermann.

Normalerweise wäre der Altersdurchschnitt in der Dingolfinger Achsgetriebemontage heute 39 Jahre. BMW hat ausgerechnet, dass der Durchschnitt im kommenden Jahrzehnt auf 47 Jahre steigen wird. Für das Projekt «Heute für morgen» wurden 38 Beschäftigte ausgesucht, damit sich eine Altersstruktur vergleichbar mit dem Jahr 2018 ergibt. Darunter ist auch der 56-jährige Johann Beischmid. Er ist insbesondere von dem neuen Fußbodenbelag begeistert. «Der Holzboden ist schon gut, dass merkt man abends ganz deutlich», sagt er.

Die Kosten für die Umrüstung der Arbeitsplätze halten sich nach Angaben von BMW in Grenzen. «Das kostet nicht die Welt», sagt Mauermann. Der neue Arbeitsstuhl habe einen Stückpreis von 200 Euro und die orthopädische Anpassung eines Schuhs komme auf gerade einmal 20 Euro. «Wir wissen, dass es sich nicht rechnet, nichts zu tun», meint auch der Leiter des Modellvorhabens, Michael Pieper. Die Beschäftigten fühlten sich wohler und würden seltener krank, beschreibt er die Vorteile. «Ältere Mitarbeiter werden nicht schlechter, aber sie werden anders», sagt Pieper.

Die Beschäftigten im weltweit größten BMW-Werk, wo fast 21 000 Menschen arbeiten, haben die Veränderungen zunächst kritisch beäugt. Doch das ist längst vorbei. «Am Anfang waren die Mitarbeiter skeptisch, weil es etwas Neues war, aber inzwischen kommt das gut an», bestätigt Betriebsratsvorsitzender Stefan Schmid. Die BMW- Manager sind vom Konzept nach dem ersten Test ebenfalls überzeugt. Das Modellvorhaben soll nun auf weitere Standorte wie den Motorenbau im österreichischen Steyr oder die Kabelbaumfertigung in Leipzig ausgedehnt werden. Das Regensburger Werk hat ebenfalls Interesse.

Nach den bisherigen Ergebnissen zahlt sich die Modifizierung der Produktion auch wirtschaftlich schnell aus. Beim Start des Projekts im Herbst 2007 wurden in der betroffenen Fertigungsstraße knapp 4,6 Achsgetriebe pro Mitarbeiter und Stunde produziert – ein halbes Jahr später ist der Durchschnitt bereits auf fast 5,3 gestiegen.