Azubis werden zur Mangelware

Große Kluft zwischen Lehrstellenangebot und Nachfrage – Weniger Schulabbrecher

Eigentlich sollte Jürgen Schmidt vollauf zufrieden sein. Seine Auftragsbücher sind gut gefüllt, die Mitarbeiter seines mittelständischen Transportunternehmens haben alle Hände voll zu tun. Dennoch macht sich der Unternehmer aus Eisenach Sorgen um die Zukunft. «Normalerweise bilden wir pro Jahr drei Berufskraftfahrer aus. Doch in diesem Jahr haben wir niemanden gefunden, der den Job machen könnte», sagt er.

Schmidts Beispiel ist kein Einzelfall: Noch nie war im Freistaat die Kluft zwischen dem Angebot von Lehrstellen und der mangelnden Nachfrage so groß wie im vergangenen Jahr. Nach Angaben der Agentur für Arbeit gab es im Beratungsjahr 2010/2011 für die 11.300 in Thüringen angebotenen Lehrstellen nur 9.600 Bewerber. In der Zukunft wird sich dieser Trend nach Ansicht der Experten der Industrie- und Handelskammer (IHK) und des Wirtschaftsministeriums noch weiter verstärken.

Immer weniger Schüler ohne Abschluss

Dabei gibt es eigentlich genügend positive Meldungen: Nach Angaben des Kultusministeriums verlassen immer weniger Schüler die Thüringer Schule ohne einen Abschluss in der Tasche. Im Jahr 2010 waren es nach einer aktuellen Zählung 1.266 Schülern, was einem Anteil von 8,5 Prozent an der Gesamtzahl der Schulabgänger entspricht. Vor zehn Jahren lag der Schnitt um eineinhalb Prozent höher.

«Trotzdem ist diese Zahl immer noch viel zu hoch», sagt der Hauptgeschäftsführer der IHK Erfurt, Gerald Grusser. Die IHK Erfurt fordert deshalb deutliche Nachbesserungen, etwa bei der Ausbildung und der Berufsvorbereitung von Jugendlichen. Der IHK zufolge leben in Thüringen derzeit rund 30.000 Personen mit «ungenügenden Bildungsabschlüssen». Deren mangelnde Qualifizierung verursache durch verringerte Lohn- und Sozialbeiträge jährliche Mindereinnahmen für den Staat von rund zehn Millionen Euro, sagt Grusser. Vor allem Stabilität bei den schulischen Rahmenbedingungen sei wichtig, die ständigen Nachbesserungen bei den Schulordnungen müssten aufhören.

Auch Jürgen Schmidt stellt der Bildungspolitik ein schlechtes Zeugnis aus: «Mit welchem Bildungsstand die Schüler heute teilweise die Schulen verlassen, ist erschreckend.» Selbst einfache Rechenaufgaben und minimale geografische Kenntnisse seien bei den Bewerbern für die Ausbildung zum Berufskraftfahrer oft nicht vorhanden. Doch auch für ihn habe es sich schon ausgezahlt, schlechteren Bewerbern eine Chance zu geben. «Wir lassen nichts unversucht, an Nachwuchs zu kommen.» So hätten in manchen Fällen die Bewerber ihre schlechte Ausgangssituation durch die Motivation wettgemacht.

Nicht nur nach Noten-Olympioniken suchen

Nach Ansicht der Agentur für Arbeit ist dieses Umdenken bei den Unternehmen unumgänglich. «Die Unternehmen sollten nicht nur auf die Noten-Olympioniken schauen», sagt die Sprecherin der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen, Bianka Kleschtschow.
Reserven seien durchaus noch vorhanden, sie müssten nur angezapft werden. So fänden in den alten Bundesländern über 50 Prozent der Hauptschulabsolventen eine Lehrstelle im Handwerk. «In Thüringen liegt diese Rate unter 40 Prozent.»

Auch der DGB sieht bislang nur wenig Bereitschaft bei den Unternehmen, schwächere Bewerber einzustellen. Während zum jetzigen Zeitpunkt bereits alle Gymnasiasten mit Lehrstellen versorgt seien, werde die Ausbildung von Jugendlichen mit schlechten oder fehlenden Abschlüssen oft den Arbeitsagenturen überlassen, sagte eine Sprecherin des DGB in Erfurt. Das Angebot außerbetrieblicher Ausbildungen müsse deshalb deutlich zurückgefahren werden.

Um mehr Jugendliche zur Ausbildungsreife zu bringen, investierten die Agentur für Arbeit und das Wirtschaftsministerium im vergangenen Jahr 13, 5 Millionen Euro in berufsvorbereitende Maßnahmen oder das Nachholen von Abschlüssen. Dabei sei Eile geboten, möglichst viele Schüler ohne oder mit niedrigen Abschlüssen in Ausbildung zu bringen, sagt Bianka Kleschtschow. «Wenn ab 2020 die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, stehen uns die großen Probleme erst bevor.»