Für den ersten praktischen Einsatz fehlen nur noch die Schuhe

Chemnitz. Ohne Hemmungen klettert Martin Cibrik auf den gelben Bagger auf dem Werkstatthof der Chemnitzer Tiefbaufirma Mothes.

Einmal so ein Ungetüm lenken, das würde dem 18-Jährigen gefallen. Doch am Montag ist alles noch Trockenübung, erstes Beschnuppern des Arbeitsplatzes. Einen dunkelgrünen Arbeitsanzug hat der neue Lehrling schon anprobiert, nur Schuhe in Größe 45 muss die Personalleiterin noch suchen.

Martin gehört zu den ersten tschechischen Lehrlingen in Sachsen.
Die Handwerkskammer startete dafür ein Pilotprojekt. Firmenchef Dietmar Mothes ist der Kammerpräsident und geht mit gutem Beispiel voran. «Seit Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit am 1. Mai bestehen keine rechtlichen Schranken mehr für die Einstellung von Lehrlingen aus Tschechien oder Polen. Ich habe vier junge Männer genommen», sagt er.

Die Handwerkskammer Chemnitz arbeitet dabei mit der Kreiswirtschaftskammer Most (Brüx) zusammen. Die Chemnitzer wollen damit dem Nachwuchsmangel in Sachsen begegnen. Im Gegenzug profitiert die tschechische Seite von deutschem Know-how bei der Berufsorientierung und Fortbildung im Handwerk. Zurzeit weist die Lehrstellenbörse der Chemnitzer Kammer 150 offene Stellen aus, darunter für Techniker für Sanitär/Heizung/Klima, Kraftfahrzeugmechatroniker, Tischler und im Nahrungsmittelgewerbe.
Bei der Industrie- und Handelskammer Chemnitz sind es etwa 200 Stellen für 60 Berufe.

Ausbildung wie die Deutschen

Die vier jungen Männer bei Mothes absolvieren eine dreijährige Ausbildung zum Straßenbauer genau wie ihre deutschen Altersgenossen.
Richtig ernst wird es für das Quartett am Dienstag, wenn sie auf die erste Baustelle müssen. «In Frankenberg pflastern wir einen Schulhof und legen einen Spielplatz an», sagt Polier Jörg Kießling. Die Neuen werden dort erste praktische Erfahrungen sammeln. Die Berufsschulbank drücken sie dann erstmals am 5. September.

Dies dürfte für die jungen Tschechen nicht ungewohnt sein, denn sie haben schon eine Berufsausbildung hinter sich. «Das System ist anders als bei uns», sagt die Personalleiterin der Dietmar Mothes GmbH Straßen- und Tiefbau, Jacqueline Nötzold. Die vier jungen Männer hätten in einer Vollzeit-Schulausbildung an der Handelsakademie Most bereits einen kaufmännischen Beruf beziehungsweise Schreiner gelernt und das Abitur erworben, Praxis hingegen fehle ihnen.

«Ja, wir wollen diesen Beruf», sagen die jungen Tschechen übereinstimmend, die zuletzt noch einen Intensivsprachkurs absolviert haben. Wohnen werden sie in einer möblierten Wohnung mitten im Zentrum von Chemnitz. Organisiert wurde die von ihrem Lehrbetrieb. Die Personalchefin begleitete die neuen Auszubildenden aus dem Nachbarland sogar auf die Meldestelle.

Auch anderswo geht der Blick über die Grenze

Die neuen Mitarbeiter und deren Eltern zeigten sich zufrieden mit der Aufnahme in Deutschland. Dietmar Mothes weiß aber auch, dass das Projekt von vielen Tschechen auch skeptisch gesehen wird. Denn auch Tschechien leidet wie Sachsen darunter, dass junge Leute die Heimat verlassen. Tatsächlich kann sich zumindest der schwarzhaarige Robert Bazo vorstellen, nach der Lehre in Deutschland zu bleiben. Dort, wo er herkommt, in Nordböhmen, liegt die Arbeitslosenquote bei bis zu 20 Prozent.

Neben dem Tief- und Straßenbauer haben noch zwei Elektrofirmen in Chemnitz und Oelsnitz/Erzgebirge Nachwuchs aus Tschechien unter Vertrag genommen. Bei den anderen Bewerbern hätten die Deutschkenntnisse nicht ausgereicht, sagt Mothes. Auch andere Kammern schauen sich im Ausland mittlerweile nach geeigneten Bewerbern um, wie er sagt. In Cottbus etwa im benachbarten Bundesland Brandenburg geht der Blick hinüber nach Polen.

Während die Handwerkskammer Chemnitz in der Region Most weiter werben will, hat Bäckermeister Manfred Clauß aus Mülsen (Landkreis
Zwickau) ganz ohne Kammer-Unterstützung einen jungen Tschechen eingestellt. «Peter war zum Probearbeiten da und wir waren uns sofort einig», sagt Clauß. Der junge Mann habe in Wilkau-Haßlau seinen Hauptschulabschluss nachgeholt und durch einen Kumpel erfahren, dass in Sachsen Bäcker gesucht würden. Nun wolle er hier bleiben.