Büros nach Gusto: Neue Arbeitswelten in Berlin

Berlin (dpa) – Mit Laptop und Latte Macchiato im Café, das war gestern. Die Berliner Kreativszene, in der «Projekte» häufiger sind als feste Arbeitsplätze, ist heute einen Schritt weiter.

In «Coworking-Spaces» (Gemeinschaftsarbeitsräumen) kann man sich einen Schreibtisch mieten, wie man möchte – ohne große Verpflichtungen. Im Betahaus in Kreuzberg geht das sogar tageweise, bei Konferenzräumen auch stundenweise. Kontakte knüpfen, Kollegen treffen, telefonieren: Das funktioniert in der Denkzelle in der Bücherei nicht so gut wie in den neuen Bürogemeinschaften, die es in Städten wie London und New York schon länger gibt.

Im Café des Betahauses stehen alte Sofas und ein Kickertisch, auf der Speisekarte Möhrenkuchen und Cappuccino. Zu den bis zu 120 Nutzern des alten Gewerbehofes gehören Grafiker, Programmierer, Übersetzer, Architekten, Künstler, eine Konzertagentur, Vereine und Jungunternehmer. Viele sind «virtuell wahnsinnig gut vernetzt», aber halt nicht im echten Leben, erzählt Sprecherin Madeleine von Mohl (27). «Viele hätten genug Geld, sich ein eigenes Büro zu leisten.» Vorteil des Betahauses sei aber, dass die Nutzung flexibel ist.

Flexibel ist zum Beispiel die Politikfabrik, eine Agentur, die junge Leute für die Europawahl begeistern will. Heute sitzen auf der Loft-Etage nur zwei junge Frauen an ihren Rechnern, an anderen Tagen sind es mehr. Ein paar Schreibtische weiter brütet Geograf Robert (28) über einer Studie zur Mobilität im Raum Hessen. «Zu Hause arbeiten ist für die Selbstdisziplin nicht gut», sagt er.       

Selbstbestimmt sein Geld verdienen, morgens ins Büro oder Atelier kommen, wann man möchte, sein eigener Chef sein: Das sind die Träume, die sich in Berlin besonders gut träumen lassen, zumal die Mieten im Großstadtvergleich noch relativ günstig sind. Für 79 Euro bekommt man im Betahaus einen Schreibtisch für 12 Tage im Monat, für 50 Euro eine Postanschrift mit 5 Stunden im Konferenzraum.

Die Zahl der bereits bestehenden Coworking-Häuser und deren Zielgruppe sind schwer einzuschätzen. 160 000 Menschen bundesweit sind bei der Künstlersozialkasse versichert. Das Heer der Kreativen und Freiberufler dürfte aber um einiges größer sein: Berlin zählt allein 800 Modedesigner, 6000 bildende Künstler und 1300 Designunternehmen.

Dass Freiberufler mitunter mit wenigen hundert Euro im Monat auskommen müssen, dass draußen die Finanzkrise tobt: Davon ist in dem noch etwas improvisiert wirkenden Kreativzentrum wenig zu spüren. Zwei der jungen Macher sind Florian Wichelmann und Fabian Probst, die eine Restaurantkette namens «Deli Lama» starten wollen. «Du brauchst keinen grauen Teppich mit &ner Empfangsdame», sagt Wichelmann (28). Die lockere Atmosphäre des Hauses mag er. «Die Nestwärme ist super.» Freitagnachmittags schicken sich die Betahaus-Nutzer auch mal eine Mail herum, wer noch etwas trinken gehen will.

Anders als die klassischen alternativen Zentren, wo zum Beispiel Tischler, Bäcker und Künstler unter einem Dach werkeln, bedienen Coworking-Häuser eine wechselnde Klientel. Markus Albers (39), Autor des Buches «Morgen komm ich später rein» über moderne und flexible Arbeitsformen, beschreibt das so: «Heute sind es der Student, der an seiner Magisterarbeit sitzt oder der freie Webdesigner, der Anschluss und Kommunikation vermisst. Morgen der Geschäftsmann, der mal für einen Tag aus dem Büro flüchtet oder auf Dienstreise in der Stadt ist, eine schnelle Internetverbindung und Büroinfrastruktur sucht.»

Gerade die mit dem Internet aufgewachsene Generation der «Digital Natives» wolle «vielgestaltige und inspirierende Arbeitsumfelder», erklärt Albers. «Coworking-Häuser bedienen dieses Bedürfnis nach Abwechslung. «Das ist schon jetzt ein echter Trend und wird noch wachsen.»