Forscher entwickeln Pulsgurt gegen Alltags-Stress

Karlsruhe (dpa) – Voll unter Druck, das Handy nervt, und die Arbeit wächst über den Kopf – Stress ist kein neues Phänomen, und seine Ursachen sind schon gut erforscht. Wie aber misst man den ganz alltäglichen Stress?

Dieser Frage gehen zurzeit Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) nach. «Unser Ziel ist es, einen elektronischen Begleiter zu entwickeln, der Stress auslösende Faktoren im Alltag genau erkennt, damit eine Belastung besser bewältigt werden kann», erläutert der Leiter der Research Group, Stefan Hey.

Zwar gibt es schon verschiedene Ansätze, Stress zu messen. Anders als gängige Blutdruckgeräte taugen sie nach Einschätzung von Forscher Hey aber nicht, um Belastungen dauerhaft aufzuspüren. Sportwissenschaftler, Pädagogen, Psychologen und Elektrotechniker der Universität Karlsruhe haben nun eine Art Pulsuhr entwickelt, wie Jogger sie kennen: ein Brustgurt, der den ganzen Tag über getragen werden kann.

An einem Prototyp des «Body Monitoring Systems» arbeitet derzeit die Forscher-Gruppe «hiper.campus» unter Leitung des Elektrotechnikers Hey. Noch in diesem Jahr soll er vorgestellt werden. Bis 2011 könnte der Gurt für jedermann auf den Markt kommen.

Atmung, Puls oder Herzaktiviät – bei Überforderung reagiert der Körper anders. Je nach Anspannung sondern die Drüsen auch verschieden Schweiß aus, was etwa für Lügendetektoren genutzt wird. Welche Faktoren sind aber zur Beurteilung von Stress und Emotionen besonders geeignet? Die Karlsruher Wissenschaftler haben bei Studien herausgefunden, dass vor allem die Pulstransitzeit aussagekräftig ist – also die Zeit, die eine Pulswelle braucht, um das Blut vom Herz zum Zeigefinger zu pumpen. Dafür wurde am Institut für Technik der Informationsverarbeitung der Uni ein spezielles Messsystem entwickelt.

Die Forscher des Ende 2007 im Rahmen der Exzellenzinitiative am House of Competence eingerichteten «hiper.campus» (der Name steht für High Performance on Campus und ist abgeleitet von Hippocampus, einem zentralen Bestandteil des Gehirns) wollen aber nicht nur Stress messen. Sie haben sich vor allem zum Ziel gesetzt, die Leistungsfähigkeit von Studenten, Wissenschaftlern und anderen Uni-Beschäftigten zu steigern. Deshalb wird auch der Zusammenhang zwischen persönlicher Fitness und mentaler Leistungsfähigkeit untersucht.

Schließlich hatte eine Umfrage unter rund 440 Karlsruher Studenten Alarmierendes ergeben: «Über die Hälfte der Befragten fühlte sich überfordert», berichtet Hey. Sein neues Messgerät könnte helfen, Stressfaktoren leichter zu identifizieren und damit Überforderung zu vermeiden. Denn, so betont der Wissenschaftler: «Gegen Stress kann man etwas tun.»

Überlastung bei der Arbeit kann man mit einem besseren Zeitmanagement begegnen, Lampenfieber lässt sich durch gezieltes Training bekämpfen, und bei Ärger mit den Kollegen kann ein spezielles Konflikttraining helfen. Positiv auf die Leistung, so eine weitere Studie mit Studenten, wirken jedenfalls Ausdauertraining wie Joggen oder kurze Entspannungspausen und autogenes Training.

Die Arbeit der Karlsruher Stressforscher ist schon jetzt gefragt: Interesse haben nicht nur Krankenkassen und die Pharmaindustrie; auch andere Fakultäten profitieren. So interessiert etwa Wirtschaftswissenschaftler, ob Börsenmakler bei Stress schlechter entscheiden («Ja!») oder wie sich Stress auf das Kaufverhalten bei Internet-Versteigerungen auswirkt. «Wir stellen dafür die Technik zur Verfügung», so Hey.

Der Stressforscher selbst hat natürlich auch manchmal Stress – versucht diesen aber zu vermeiden. Zum Beispiel, indem er regelmäßig joggt. Angesichts einer wachsenden Informationsflut wird Stress zunehmen, ist Hey überzeugt. Aber, so sein Rezept: «Man sollte Anforderungen ruhig mal ausweichen. Man braucht nicht alle erfüllen, um glücklich zu leben», ist der Forscher überzeugt. «Ich kann das Handy auch mal ausschalten!»