Immer mehr Studenten leiden unter psychischem Druck

Hannover (dpa) – Irgendwann ging sie nicht mehr in die Mensa, weil ihre Angst so groß war. Sie hatte Angst vor den vielen Menschen, fühlte sich beengt in dem großen, lauten Raum voller geschäftiger Studenten.

Dabei ist sie eine von ihnen: Julia studiert in Hannover Politik im zehnten Semester, engagiert sich in der Uni, hat einen Nebenjob. Doch dann kam alles zusammen: Die Seminararbeiten häuften sich, die 500 Euro Studiengebühren mussten bezahlt werden, sie arbeitete viel und spät. Julia wurde depressiv, hatte Konzentrationsstörungen und Angstzustände und holte sich schließlich Rat bei der Psychologisch-Therapeutischen Beratung (PTB) der Leibniz Universität.   

Wie Julia geht es immer mehr Studenten: Die Zahl der Studierenden, die beispielsweise in Niedersachsen und Bremen Beratungsstellen aufsuchen, ist an einigen Hochschulen merklich gestiegen. Die Psychotherapeutische Ambulanz der Uni Göttingen geht für 2008 von einer Verdoppelung der Beratungszahlen im Vergleich zum Vorjahr aus. «Wir haben von zwei auf vier Therapeuten aufgestockt. Synchron hat sich auch die Zahl der Studenten, die wir beraten, etwa verdoppelt», sagt Mitarbeiterin Charlotte Eberl. Sie vermutet, dass die steigenden Beratungszahlen sowohl mit der Umstellung auf das Bachelor-Master-System als auch mit der Einführung der Studiengebühren zusammenhängen.    

«Der Druck wächst, weil mehr Stoff in weniger Zeit bewältigt werden muss. Gleichzeitig müssen die Studenten mehr arbeiten, um sich das Studium zu finanzieren», erklärt Eberl. Zu den 500 Euro Studiengebühren je Semester kommen je nach Universität noch 200 bis 270 Euro für das Studentenwerk, das Semesterticket und Verwaltungsgebühren hinzu.    

Die hannoversche Universität berichtet über einen Anstieg der Beratungen von knapp sechs Prozent im Jahr 2007 im Vergleich zum Vorjahr, obwohl die Studentenzahlen in Hannover insgesamt gesunken sind. «Die Wartezeit für ein Beratungsgespräch beträgt momentan zwei bis drei Wochen», sagt die Leiterin der PTB, Waltraud Freese. «Das ist eigentlich zu lang.» Die Sozialberatung des Studentenwerks verzeichnete 2008 sogar einen Anstieg von 13 Prozent gegenüber 2007. 2950 Studenten ließen sich 2008 beraten. «Über die Hälfte kommt wegen Fragen zur Studienfinanzierung», berichtete eine Sprecherin. Auch die PTB der Uni Bremen will wegen der erhöhten Nachfrage mehr Berater einstellen.

Julia bekam nur alle zwei Wochen einen Termin in der Beratungsstelle der Uni Hannover. «Das war zu wenig für mich», sagt sie heute. Während der Beratung kristallisierte sich heraus, dass der Grund für ihre Probleme tiefer liegt: Zu Anfang des Studiums war sie Opfer sexueller Gewalt geworden, durch den Stress verschlimmerten sich die posttraumatischen Zustände. Sie wisse zwar, dass sie klug sei, sagt Julia, die stark sein und ihr Studium durchziehen will. Jetzt schafft sie aber ihre Prüfungen kaum, der Druck ist zu groß.

Die Aufnahme eines Kredits, um weniger arbeiten zu müssen, lehnt die Studentin ab. «Das kommt für mich nicht infrage. Wenn ich Schulden habe, macht mich das total unruhig.» Ihre Eltern können sie kaum unterstützen, deshalb hat sie als Zimmermädchen gearbeitet und nachts in Restaurants und einem Bowlingcenter gekellnert. «Seitdem es Studiengebühren gibt, ist es noch schwieriger. 100 Euro mehr im Monat sind eine Menge.»   

Studenten, die die 500 Euro Studiengebühren nicht bezahlen können, können beim Allgemeinen Studierendenausschuss AStA einen Antrag auf ein Darlehen stellen. Doch im Moment ist der Etat von 80 000 Euro, den die Studentenvertretung in Hannover für solche Fälle hat, ausgeschöpft. «160 Studenten haben einen Antrag gestellt. Mehr Geld haben wir nicht», sagt Sören Creutzig, Finanzreferent des AStA. Im vergangenen Jahr waren es noch 112 Studenten, die sich das Geld leihen mussten.