Neues Hilfsnetzwerk gegen Mobbing

Waiblingen (dpa) – Bis zur Lebensmitte lief für Bernd Krauter alles glatt. Dann wechselte der Betriebswirt mit Ende 40 das Unternehmen. Nach einem Unfall, der ihn für vier Monate lahmlegte, kam er in einen veränderten Betrieb zurück.

Sein Aufgabengebiet war einer anderen Abteilung zugeordnet, wo ihm ein Konkurrent um seine Stelle das Leben schwer machte. «Ich wurde systematisch diskreditiert – fachlich und persönlich», erzählt der 54-Jährige. Der Nebenbuhler gewann den Machtkampf, der damit endete, dass Krauter nach einer Änderungskündigung selbst das Handtuch warf. Heute will er anderen im neu gegründeten Verein Mobbing keine Chance e.V. (Waiblingen/Rems-Murr-Kreis) helfen, indem er das Tabuthema überhaupt erst einmal anspricht. «Ich weiß, wie schwierig es ist, einen Gesprächspartner zu finden.»

Hinter Mobbing (to mob – engl. über jemanden herfallen), einem Begriff aus der Verhaltensforschung in der Tierwelt, verbirgt sich eine breite Spanne von Schikanen. «Der eine empfindet es als Mobbing, wenn ihm ein Kollege zwei Mal den Radiergummi wegnimmt, der andere hat einen Magendurchbruch und merkt nicht, dass die Ursache die Anfeindungen im Berufsleben sind», erläutert Harry Möller-Stein, Vorsitzender des Vereins, dessen Fokus das Arbeitsleben ist.

Für ihn gehört als Faustregel dazu, dass die Diffamierung im fachlichen und persönlichen Bereich über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten dem Betroffenen mindestens ein Mal pro Woche widerfährt. Krauter bringt es für sich auf den Punkt: «Beim Mobbing wird die Würde des Einzelnen zerstört.» Die Reaktion darauf sei meist, dass der Betroffene die Fehler bei sich selbst sucht. «Ich habe meine alten Zeugnisse wieder hervorgeholt, um mich zu vergewissern, dass ich etwas kann», erzählt Krauter. Der Angriff auf das Selbstbewusstsein macht manche Menschen körperlich krank und treibt sie im Extremfall zu tödlichen Entscheidungen: Nach Auskunft von Möller-Stein geht jeder sechste Suizid in Deutschland auf das Konto von Mobbing.

Neben den psychischen Folgen für die Betroffenen – 2,5 Millionen Deutsche am Arbeitsplatz, in der Schule oder im Internet – hat das Mobbing auch ganz handfeste Auswirkungen: Nach Schätzung von Harry Möller-Stein beträgt der volkswirtschaftliche Schaden 25 Milliarden Euro pro Jahr. «Mit dieser Summe schlagen Krankheitskosten, Fluktuation und daraus resultierende Einarbeitungskosten, Qualitätsabfall und schließlich Anwaltskosten zu Buche», erläutert der ehemalige Lehrer. Die Unternehmen leugnen das Phänomen nach seiner Erfahrung noch. Deshalb setzt der Verein bei der Aufklärung an. Geplant sind Seminare für Führungskräfte in Unternehmen, die auch Mitglied im Verein werden können.

Die Einnahmen aus diesen Beratungsaktivitäten sollen dem Mobbing Competence Center zu Gute kommen. Dessen Herzstück ist eine kostenlose Hotline, über die erste Tipps gegeben werden. Die Betroffenen werden unter der Nummer 0800 / 6622445 an Experten weiterverwiesen – je nach Lage des Falls an Psychotherapeuten, Mediatoren, Anwälte oder psychologische Berater. Bislang sind zehn Experten dem Netzwerk angeschlossen. «Wir wollen langfristig in jedem Landkreis Baden-Württembergs einen Ansprechpartner haben», erläuterte Möller-Stein. Zwar arbeiten die Fachleute in Sachen Mobbing nicht gratis, geben aber einen Teil ihrer Honorare an den Verein, der Mittellosen auch finanziell unter die Arme greift.

Der Tipp der Experten ist, möglichst früh Hilfe zu suchen. «Ich werde oft zu spät kontaktiert. So kann etwa kein vollständiges Mobbing-Tagebuch als Beweismittel mehr geführt werden», weiß Anwältin Sandra Buchholz vom Mobbing Competence Center, die etwa im Fall von Schadenersatzforderungen zu konsultieren wäre. Möller-Stein rät, nach dem Motto «Wehret den Anfängen» offen mit den Problemen umzugehen und Unterstützung beim Betriebsrat oder Personalchef einzufordern. «Man muss Gegenmaßnahmen ergreifen – Einhalt gebieten, sich abzugrenzen ist ganz wichtig.»

Mobbing-Hotline (kostenlos): 0800 / 6622445