Schach als Schulfach hilft Schülern auf die Sprünge

Bad Hersfeld (dpa) – Bei den Denker-Duellen am Schachbrett verliert manchmal selbst der Schulleiter gegen ambitionierte Zweitklässler. Für Rektor Karl-Heinrich George (57) ist das aber kein Grund, sich zu schämen.

Der Hobby-Schachspieler erzählt sogar gerne davon, denn er wertet das als Beleg dafür, wie gut und schnell seine Schüler lernen – besonders das Schachspielen. Die Wilhelm-Neubaus-Schule in Bad Hersfeld ist die einzige Schule Hessens, an der schon Erstklässler Schach als reguläres Schulfach haben.

Jeden Mittwochmorgen werden die Kinder der ersten und zweiten Klasse in der Kunst des Strategiespiels unterwiesen. Statt Rechenaufgaben stehen dann Rochaden auf dem Lehrplan. Die insgesamt 44 Mädchen und Jungen schauen sich Spielsituationen auf einem großen Demobrett an, das an der Tafel hängt. Werden Fragen gestellt, darf ein Kind nach vorne kommen, um die Figuren zu verschieben und das Problem zu lösen. Im freien Spiel können die kleiner Denker dann später das Gelernte erproben.

Der sieben Jahre alte Nils ist begeistert: «Das ist mein Lieblingsfach.» Er habe sogar schon einen Pokal gewonnen. Das ist keine Seltenheit an der osthessischen Bildungsstätte. Die Bad Hersfelder Schachschüler haben schon zweimal die Hessen-Meisterschaft gewonnen, einmal den Hessenpokal und dreimal an Deutschen Meisterschaften teilgenommen. Die Erfolge kommt nicht von ungefähr. Als erste Grundschule in Deutschland erhielt die Wilhelm-Neuhaus-Schule das Qualitätssiegel des Deutschen Schachbundes und darf sich seit Herbst 2008 «Deutsche Schachschule» nennen.

Alles fing mit einer Art Modellprojekt an. Zu Beginn des Schuljahres 2003/2004 wurde an der Grundschule nach einem Konzept zur Begabtenförderung erstmals Schachunterricht gegeben – zunächst in den Klassen zwei und drei. Auslöser war eine Studie der Universität Trier, nach der nicht so sehr die guten Schüler vom Schulschach profitierten, sondern eher die schwächeren. «Schachspielen fördert aber insgesamt die Entwicklung aller Kinder», bemerkt George. Laut Studie seien die Schachschüler in Mathe doppelt so gut wie der Landesdurchschnitt. Und noch mehr nütze Schachspielen erstaunlicherweise dem Leseverständnis.

Die sieben Jahre alte Imke erzählt zwischen den Zügen: «Schachspielen hilft mir. Ich kann mich besser konzentrieren. Und schön ist, dass man nicht schnell laufen muss wie beim Sport. Wichtig ist, wie schlau man spielt.» Doch freilich ist der Effekt nicht bei allen Schülern zu beobachten. Nicht jeder scheint ein geborener Großmeister zu sein. «Neiiin», ruft Lars empört, schaut seinen Gegenspieler vorwurfsvoll an und rauft sich theatralisch die Haare. «Das gilt nicht – du darfst mit dem Bauer nicht rückwärtsgehen.»

Der Mann, der bei solchen Grundsatzfragen Aufklärungsarbeit am Brett leistet, ist Wilhelm Beier. Der 76 Jahre alte Pensionär erklärt den Kindern zusammen mit einigen ehrenamtlichen Helfern alles ganz geduldig. Beier war früher Hochschullehrer in Frankfurt am Main und bildete Biologielehrer aus. «Vom Schach hatte ich zunächst keine Ahnung», gesteht er, «aber die Aufgabe hat mich gereizt.» Er machte das Schulschachpatent und ist seitdem anerkannter Lehrer – und für die kleinen Schüler der beliebte «Schachprofessor».

Die Jungen, erklärt Beier, seien oftmals die aggressiveren Spielertypen. «Die wollen dem Gegner schnell das Brett leer räumen.» Viele Mädchen verlören leider schnell die Lust am Schach. «Die wollen dann auch mal was anderes ausprobieren: Reiten, Schwimmen oder Tennis.» Wer am Brett bleiben möchte, kann das problemlos tun. Von der zweiten Klasse an, ist Schach als Wahlfach belegbar.

Die Wilhelm-Neuhaus-Schule ist in der Kur-Stadt keine Ausnahme. Allein an drei Grundschulen und allen weiterführenden Schule in Bad Hersfeld wird Schach unterrichtet. George glaubt nach seinen durchweg guten Erfahrungen, dass andere hessische Schulen mit Schachunterricht von der ersten Klasse an nachziehen sollten. Der Rektor plant den Unterricht verbindlich auszuweiten und einen Schulversuch zu starten. In Wiesbaden will er um finanzielle und personelle Unterstützung werben. «Das Kultusministerium hat die Schulen zu mehr Eigenständigkeit aufgerufen – wir wollen es machen.»