Streit um die ZVS: Studien- zulassung «unter aller Sau»

Berlin (dpa) – Jahrzehnte stritten die Rektoren für ein Studenten-Auswahlrecht der Hochschulen. Zug um Zug wurde seit 2004 die Dortmunder Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) entmachtet, ihre Zuständigkeit nahezu ausschließlich auf die medizinischen Studiengänge beschränkt.

Heute, wo sich die Hochschulen in fast jedem zweiten der bundesweit 11 000 Studiengänge den Großteil der Studienanfänger nach eigenen Kriterien selbst aussuchen können, klagen Abiturienten, Eltern und Lehrer zunehmend über Chaos und Wirrwarr an den Hochschulen. Der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, nennt das aktuelle Verfahren schlicht «unter aller Sau».

Dabei ist unter dem Stichwort der Hochschulautonomie in den vergangenen Jahren ein Wildwuchs unterschiedlicher Zulassungsregeln entstanden, die weder zeitlich noch inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. Als Folge eines «übersteigerten Dezentralismus» versuche jede Universität, bei der Zulassung «das Rad neu zu erfinden», klagt etwa der Vorsitzende des Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger.

Die eine Hochschule akzeptiert bei der Studienbewerbung in einem Fach mit örtlichen Zulassungsbeschränkungen nur Originaldokumente, die andere begnügt sich mit Kopien. Es gibt Universitäten, die auch in den Numerus-clausus-Fächern (NC) immer noch ausschließlich nach der Abiturnote ihre Anfänger auswählen. Andere wollen einen Lebenslauf, Nachweise über berufliche Tätigkeiten und Praktika sehen oder fordern die Teilnahme an Eignungstests. Doch das alles wäre noch kein Problem, wenn es ein zeitlich abgestimmtes Nachrückverfahren geben würde, bei dem der zunächst an einem Ort abgewiesene Bewerber an der anderen Hochschule doch noch zum Zuge kommen kann.

Doch dass sich die jungen Menschen gleichzeitig an mehreren Hochschulen um einen Studienplatz bewerben können, war mit der Ausweitung des Studentenauswahlrechts der Hochschulen politisch ausdrücklich gewollt. Da es zwischen den einzelnen Hochschulen aber keinen Datenabgleich gibt, führen Mehrfachbewerbungen häufig zu Doppeleinschreibungen – mit der Konsequenz, dass ausgerechnet in begehrten Mangelfächern Studienplätze unnötig blockiert werden. Nach interner Analyse der Kultusminister bleiben so 10 bis 15 Prozent der NC-Studienplätze unbesetzt. Die Rektoren sprechen gar von bis zu 20 Prozent. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hält die Zahlen für übertrieben und «aus der Luft gegriffen».

Das Problem: Da die Hochschulen nach mehreren Urteilen des Verfassungsgerichtes zur «erschöpfenden Nutzung» ihrer Kapazitäten verpflichtet sind, ist ein lukrativer Markt für Rechtsanwälte entstanden. Im Internet und inzwischen auch auf Bildungsmessen bieten spezialisierte Kanzleien dafür unverhohlen ihre Dienste preis. Für Honorare zwischen 3000 und 10 000 Euro – je nach Studiengang – spüren die Anwälte freie Plätze auf und ziehen oft mit Sammelklagen vor die Verwaltungsgerichte. Der Deutsche Hochschulverband schätzt, dass pro Jahr inzwischen etwa 20 000 der rund 350 000 Neueinschreibungen an den Hochschulen mit Hilfe von Klagen erfolgen.

Ausgerechnet die von den Rektoren so ungeliebte ZVS soll das Problem jetzt wieder richten. 2006 haben die Kultusminister dazu einen Staatsvertrag beschlossen, der aber bislang noch nicht einmal von der Hälfte der Bundesländer unterzeichnet ist. Angestrebt wird nun nach langem Tauziehen ein «dialogorientierter Datenabgleich», bei dem der Bewerber via Internet seinen Rang auf der Warteliste der Wunsch-Hochschule mitverfolgen kann. Sagt er einem Studienplatz-Angebot zu, wird seine Bewerbung an anderen Hochschulen gesperrt. Für die Entwicklung der aufwendigen Computertechnik will Schavan jetzt 15 Millionen Euro Bundesmittel einsetzen.

Doch die Sache hat einen Haken. Die Kultusminister wollen es den einzelnen Hochschulen weiter frei stellen, ob sie sich an dem Datenabgleich beteiligen. Die SPD-Bundestagsfraktion verlangt von Schavan ein Bundesgesetz für die Zulassung, was die Ministerin wiederum ablehnt. Dabei gilt auch nach Schavans Krisengespräch mit Rektoren und ZVS am 9. Februar in Berlin als sicher, dass das Chaos bei der Zulassung zumindest in diesem Herbst weitergeht.