DDR-Geschichte sucht noch ihren Platz an Schulen und Unis – Spezialarchiv wünscht größeres Interesse der Schulen

Stolz führt Juliane Thieme durch die Selbstzeugnisse von mehr als 100 Personen. Die in zwei Magazinräumen lagernden Bestände wurden von DDR-Oppositionellen übergeben.

Im Thüringer Archiv für Zeitgeschichte «Matthias Domaschk» in Jena
(ThürAZ) werden neben den privaten Dokumenten auch Plakate, Fotografien, Zeitungsausschnitte, sogenannte graue Literatur sowie
Film- und Tonbandaufnahmen vor dem Verfall und dem Vergessen geschützt. Doch das Interesse an den Materialen ist gering. Die Geschichte der DDR kommt nach Ansicht von Kritikern an Schulen und Universitäten zu kurz.

«Wir würden uns wünschen, dass die Lehrer mit ihren Schülern das Angebot stärker nutzen», sagt Thieme, die gemeinsam mit der Archivbeauftragten Maria Riedel das ThürAZ leitet. Im jüngsten Tätigkeitsbericht der Stasiunterlagenbeauftragten Hildigund Neubert hieß es dazu, dass DDR-Geschichte im Schulunterricht «in der Regel
(…) nicht behandelt wird» und angebotene Projekte von Lehrern nicht vor- oder nachbereitet werden.

DDR in Schulen oftmals thematisch nur angerissen

Die Lehrpläne für Regelschule und Gymnasium sehen die DDR als Thema im Geschichts- und Sozialkundeunterricht für die Klassen neun, zehn und zwölf vor. «Der Zeitfaktor spielt aber eine große Rolle», sagt Katrin Herzig, Vorsitzende des Landesverbandes der Geschichtslehrer, mit Blick auf Projekte und den Besuch außerschulischer Lernorte. Aus eigener Erfahrung an einer Regelschule in Bad Frankenhausen weiß sie, dass das Thema am Ende des Schuljahres oftmals nur angerissen werden kann. Zudem scheitere ein Besuch außerschulischer Lernorte, wie etwa der Grenzlandmuseen, für abgelegene Schulen schlicht an der Entfernung.

In der Gedenkstätte Point Alpha an der Grenze zwischen Thüringen und Hessen kam im vergangenen Jahr im Vergleich beider Länder auf sieben hessische nur eine thüringische Klasse. Im Grenzlandmuseum Eichsfeld dagegen ist die Zahl der Thüringer Schüler, die 2010 die
Gedenk- und Bildungsstätte besuchten, in etwa genauso hoch wie die von Schülern aus anderen Bundesländern.

Mit Lehrerfortbildungen, Wanderausstellungen und einer Mediothek will das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien die Möglichkeit bieten, das Thema DDR im Schulunterricht zu vermitteln. Rolf Busch, Vorsitzender des Lehrerverbandes, appelliert zudem an die Aufarbeitung in der Gesellschaft. «Die Schule kann nicht alles aufgreifen», sagt Busch.

Universitäten binden DDR in Zeitgeschichte ein

Kritisch äußert sich der darüber hinaus der Bericht der Unterlagenbehörde aber auch über den Umgang mit der DDR an den Hochschulen. An den Universitäten in Jena und in Erfurt, an denen die zukünftigen Lehrer ausgebildet werden, sei die Thüringer Zeitgeschichte ein «akademisches Stiefkind». Es fehlten Angebote an Lehrveranstaltungen sowie Forschungsbetreuungen für Studenten mit Interesse an DDR-Geschichte.

Norbert Frei, Lehrstuhlinhaber für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena, zeigt sich von der Einschätzung der Stasibeauftragten überrascht. «Es ist falsch, zu behaupten, dass wir im vergangenen Jahr nur eine Lehrveranstaltung zu DDR-Geschichte angeboten haben.» Der Bedarf sei da und werde gedeckt. In jedem Semester werde in 15 bis 20 Lehrveranstaltungen die DDR als Teil einer innerdeutschen Gesamtgeschichte vermittelt. Er betreue selbst viele Nachwuchsforscher, die sich mit dem Thema auseinandersetzten.
Auch Mike Schmeitzner, Lehrstuhlvertretung für Neuere und Zeitgeschichte an der Universität Erfurt, bewertet das Lehrangebot als gut. «Die historische Forschung ist aber noch lange nicht abgeschlossen», erklärt Schmeitzner. Alltags- und mentalitätsgeschichtliche Ansätze wiesen immer noch Lücken auf.

Je nach Forschungsthema greifen auch Historiker und Studenten in ihren Abschlussarbeiten auf Quellen im Spezialarchiv ThürAZ zurück, das im November sein 20-jähriges Bestehen feiert. Das «Gütesiegel für unsere Arbeit», sagt Thieme, erhielten sie bereits mit dem Thüringer Archivpreis und der positiven Beurteilung des im vergangenen Februar veröffentlichten Berichtes der Historiker-Kommission.