Saterfriesisch macht Grundschulkinder klug

Außenstehende verstehen bei einer Unterhaltung zwischen Lehrerin und Schülern in der Gemeinde Saterland (Landkreis Cloppenburg) nur Bahnhof.

Gouden Mäiden, Bäidene (Guten Morgen, Kinder), ruft Ingeborg Remmers in den Raum. Gouden Mäiden, Frau Remmers (Guten Morgen, Frau Remmers), schallt es aus fast 20 Kinderkehlen zurück. Die zweite Klasse der Grundschule Scharrel ist die weltweit erste, die auf Deutsch und Seeltersk (Saterfriesisch) unterrichtet wird.

Das Saterland ist laut einem Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde die kleinste Sprachinsel Europas und Saterfriesisch eine anerkannte Minderheitensprache. Aufgrund der abgeschiedenen Lage der einst von Hochmooren umgebenen Region konnte sich das Osterlauwersfriesisch, so der wissenschaftliche Name, bis in die Gegenwart erhalten und Zungenbrecher wie Wroute (Maulwurf) oder Woatergalle (Regenbogen) hervorbringen.

13.000 Einwohner hat die Gemeinde Saterland mit ihren Ortschaften Scharrel, Strücklingen, Sedelsberg und Ramsloh. Etwa 2.000 von ihnen sprechen Saterfriesisch. Mitte der 1970er Jahre gibt es nicht einmal 1.000 bekennende Saterfriesen. Saterfriesisch gilt als tölpelhafte Bauernsprache und ist verpönt. Erst Ende der 1990er Jahre entdecken die Sprach-Insulaner ihre verloren gegangene Identität als stolze Friesen wieder.

Seeltersk bale (Saterfriesisch sprechen) gehört heute wieder zum guten Ton. Die Gemeinden begrüßen ihre Gäste schon auf den Ortseingangsschildern in der Heimatsprache: Aus Strücklingen wird Strukelje und aus Ramsloh wird Roomelse. Auch die Grundschule in Scharrel nennt sich weithin sichtbar in großen Lettern Litje Skoule Skäddel. Ingeborg Remmers Schüler tragen T-Shirts mit der Aufschrift Seeltersk moaket klouk (Saterfriesisch macht klug).

Auch Lehrer drücken die Schulbank

Das Projekt Frühe Mehrsprachigkeit an der Grundschule soll aber nicht nur die fast ausgestorbene Sprache am Leben erhalten. Uns geht es darum, den Kindern durch Zweisprachigkeit einen Bildungsvorteil zu verschaffen, sagt Lehrerin Remmers. Früher dachten die Leute, dass die Kinder kein Deutsch lernen, wenn sie parallel auch noch Saterfriesisch sprechen. Heute weiß man, dass das nicht so ist. Es fördert die Intelligenz und das vernetzte Denken, fügt die Pädagogin an.

Saterfriesisch lernen aber nicht nur die Kinder: Seit Sommer drücken neun Grundschullehrerinnen und Kindergartenerzieherinnen wieder die Schulbank. Im Rahmen des Projektes werden ihre zumeist vorhandenen Sprachkenntnisse intensiviert und aufgefrischt. Auch in Didaktik werden sie geschult. Unterrichtet wird derzeit nur in Ingeborg Remmers Klasse, weil sie das Saterfriesische bereits perfekt beherrscht. Weitere Klassen und Schulen sollen folgen.

Von Ingeborg Remmers Sprachkenntnissen können sich die freiwillig an diesem Unterricht teilnehmenden Schüler jeden Tag überzeugen. Nachdem sich Klasse und Kinder begrüßt haben, bringt Remmers ein Bild mit einer Winterlandschaft an der Tafel an. Wät sjuchst du ap ju Bielde?, (Was siehst Du auf dem Bild?), fragt die Lehrerin. Ju Katte, sagt ein Junge. Uurlai noch moal. Wo hät dat? (Überlege noch einmal. Wie heißt es?), fragt sie erneut. Die Kat (Die Katze), antwortet der Schüler diesmal richtig.

Gerade mit den Artikeln haben es die Schüler nicht leicht. Das Hochdeutsche der heißt im Saterfriesischen oft die, aus die wird dagegen ju. So verwandelt sich der Schornstein in die Skosteen und die Maus in ju Muus. Außerdem gibt es einen zweiten Infinitiv. Ich wusste gar nicht, dass so etwas überhaupt möglich ist, hat Remmers festgestellt. Trotzdem gefällt es den Schülern. Mir macht das Spaß, sagt die achtjährige Anna und füllt eifrig die Lücken in einem Übungstext aus. Seeltersk moaket klouk.