Westfalen wehrt sich gegen Ackerland-Image

Ordentlich gepflügte Äcker, wohin das Auge reicht, grasende Kühe auf saftigen Weiden, in der Ferne kleine Dörfer – so sieht Westfalen in den nordrhein-westfälischen Schulbüchern aus.

Zumindest wenn es nach einer Studie geht, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in Auftrag gegeben hat. Das Ergebnis: In Westfalen lebt man in einem Dorf, im Rheinland in der Stadt, beklagt LWL-Direktor Wolfgang Kirsch.

Das stimme aber gar nicht. Kirsch befürchtet, dass Generationen von Schülern mit einem falschen Bild der Region aufgewachsen sind, und Westfalen wegen dieser Vorurteile im Kampf um Unternehmen und Fachkräfte Rückschläge einstecken muss.

Die Studie des LWL spricht eine eindeutige Sprache: In den 59 untersuchten Erdkundebüchern sind 49 Prozent der Raumbeispiele aus dem Rheinland, 30 Prozent aus Westfalen-Lippe. Geht es um Städte oder das Leben in der Stadt, sind sogar 82 Prozent der Beispiele aus dem Rheinland, 18 Prozent aus Westfalen.

Auch bei den Themen Industrie, Handel und Dienstleistungen sowie Energiewirtschaft stammen deutlich mehr Beispiele aus dem Rheinland. Ganz anders sieht es aus, wenn die Schüler etwas über das Leben auf dem Land lernen sollen: Dann stammen 90 Prozent der Beispiele aus Westfalen.

Verschlafenes Westfalen

Das ist nicht nachvollziehbar und erklärbar, sagt Kirsch. Er hat deswegen das Schulministerium gebeten, die Richtlinien für Schulbücher so zu ändern, dass künftig beide Landesteile gleich vertreten sein müssen.

Die Fakten stützen den LWL, berichtet die Regionalforscherin Christa Reicher. Die Professorin für Städtebau an der Technischen Universität Dortmund sagt, in den Schulbüchern werde den Kindern ein erster falscher Eindruck von der Region vermittelt. Das Klischee Westfalens als vorindustrielles Agrarland sei schon längst überholt: Die größte Industrialisierung heute findet nicht im Ruhrgebiet statt, sondern in Westfalen.

Viele Vorurteile basierten auf Ahnungen, nicht auf Fakten. Reicher fügt hinzu, es sei nachgewiesen, dass Investoren dort tätig würden, wo Lebensqualität versprochen werde. In der Außenansicht werde Westfalen aber als verschlafen wahrgenommen.

Dass das Image Westfalens in den Schulbüchern Folgen für die Entwicklung der Region hat, sagt auch der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen, Karl-Friedrich Schulte-Uebbing. Gerade der Einfluss in der Kindheit präge, sagt er. Deswegen versuchten die Unternehmen, schon junge Menschen für Westfalen zu begeistern. Die Universitäten werben seinen Angaben zufolge um Abiturienten, und die Unternehmen lassen Studenten in ihren Firmen die Abschlussarbeit schreiben.

Wer in Münster studiert, will da nicht mehr weg, meint Schulte-Uebbing. Er betont, in Westfalen seien bezogen auf ganz NRW 44 Prozent der Unternehmen und 45 Prozent der Beschäftigten angesiedelt. Mehr als die Hälfte des Umsatzes werde in Westfalen generiert.

Weltmarktführer in Westfalen

Der IHK-Hauptgeschäftsführer weiß aber auch: Die großen Firmen sitzen alle am Rhein. In seiner Region gebe es fast nur mittelständische Unternehmen. Aber auch diese bräuchten Fachkräfte und litten unter dem demografischen Wandel. Er betont: Wir müssen uns im Wettbewerb der Regionen profilieren. Deshalb sollten Erdkundebücher Westfalen als Region der Hidden Champions darstellen und zeigen, was es bedeute, im Mittelstand zu arbeiten. Wir haben hier zum Teil Weltmarktführer, fügt Schulte-Uebbing hinzu.

Ob die künftigen Schülergenerationen ein anderes Bild von Westfalen in Büchern finden werden, ist noch unklar. Beim Schulministerium hieß es, die Anfrage werde geprüft. Auf Hilfe vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) kann der LWL bei seiner Initiative wohl nicht hoffen. Eine Sprecherin sagte, aus Sicht des LVR gebe es keinen Bedarf, an den Erdkundebüchern etwas zu ändern.

Das sieht Forscherin Reicher anders. Derzeit liefen Bemühungen, das Image der Region zu wandeln. Das Bild Westfalens in Schulbüchern öffentlich zu hinterfragen, sei ein Weg, sagt sie. Aber: Diese Ansätze müssen lauter werden.