Polnisch von der Kita bis zum Abi

Konzentriert verfolgt Domenik Rose am Montag den Unterricht.

Im Klassenraum 109 der Europäischen Gesamtschule Usedom in Ahlbeck hat Polnisch-Lehrerin Ines Zapnik Alltagskonversation auf den Lehrplan gesetzt und mit Kreide den Satz Jak sie dzisiaj czujesz? (Wie geht es Dir heute?) an die Tafel geschrieben. Tak sobie! Jako tako, antwortet Domenik verschmitzt (Geht so, so la la.).

Der 17-Jährige aus dem benachbarten Heringsdorf gehört zu sechs Schülern der 11. Klasse, die derzeit vier Stunden pro Woche Polnisch als Zweitsprache erlernen. Künftig sollen in der Grenzregion zu Polen junge Deutsche sogar von der Kindertagesstätte bis zur Abiturstufe durchgängig Polnisch lernen können. Praktische und finanzielle Möglichkeiten für das bundesweit einzigartige Projekt soll eine neue, rund 30.000 Euro teure Studie aufzeigen, die die Universität Greifswald im Auftrag des Landkreises Vorpommern-Greifswald erstellen soll.

Vorbehalte Älterer gegen die polnische Sprache schwinden

Die Nachfrage nach solchen Sprachkursen wie in Ahlbeck sei in den vergangenen Jahren gestiegen, hat Lehrerin Zapnik festgestellt. Die Vorbehalte der älteren Generation, die meine, Polnisch bringe nichts, seien fast verschwunden. Bei Kindern und Jugendlichen und deren Eltern steige die Akzeptanz, neben Englisch auch Polnisch zu erlernen. Doch in Mecklenburg-Vorpommern, wo Polen inzwischen wichtigster Handelspartner sei, fehle der notwendige Rückhalt. Es fehle an Geld, Anerkennung, Unterricht und Lehrbüchern, kritisiert die Pädagogin, die gemeinsam mit polnischen Kolleginnen in mühsamer Heimarbeit für ihren Unterricht eigene Lehrblätter erstellt hat.

Früher habe Mecklenburg-Vorpommern mit bahnbrechenden deutsch-polnischen Bildungsprojekten für Schlagzeilen gesorgt, sagt der Greifswalder Literaturprofessor und Projektleiter Alexander Wöll. Doch mittlerweile scheiterten vielversprechende Initiativen am Geldproblem und fehlender Lobby im Bildungsministerium.

Kita-Leiterin enttäuscht über Ende der Polnisch-Projekte

Von gescheiterten Träumen und Projekten könnte Marion Ryba mittlerweile ein Lied zu singen. Die 63-Jährige leitet die Kita Uns lütt Puppenstuv gleich neben der Ahlbecker Europaschule. Nach dem schrecklichen Mord an einem Obdachlosen in Ahlbeck im Juli 2000 habe sie ein Zeichen setzen wollen gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit, erinnert sie sich. Damals setzte sie mit Gleichgesinnten und gegen manche Vorbehalte die deutsch-polnische Spracherziehung in ihrer Kita durch.

Die Idee machte Schule, 13 Kitas im Grenzraum schlossen sich der Initiative an. Dank einer EU-Förderung kamen sogar Kinder und Erzieherinnen aus Polen in die deutschen Kindergärten, in denen die Kids spielerisch die Sprache der Nachbarn erlernten.

Vor zwei Jahren sei das Projekt ausgelaufen, sagt Ryba, die sich im Mai resigniert in den Ruhestand verabschieden will. Eine Anschlussfinanzierung über drei Millionen Euro sei gescheitert. Polnisch bekommen unsere Kinder nun nur noch am Rande mit, etwa im Spiel mit ihren polnischen Freunden oder bei einem der sechs jährlichen Projekttreffen, die wir jetzt in Eigeninitiative hinter der Grenze organisieren. Polnische Muttersprachlerinnen kämen in keine deutsche Kita mehr.

Landkreis beauftragt Uni mit Studie

Schätzungsweise mehr als 600 deutsche Kinder hatten von 2007 bis 2010 in den Kitas im Osten des Landes Polnisch erlernt. Hinzu kamen Hunderte Schüler, die in den Gymnasien Ahlbeck und Löcknitz Oberstufenkurse belegten. Mit dem Rückzug verbaue sich das Land eine riesige Chance, findet Dennis Gutgesell, Landratsvize von Vorpommern-Greifswald, berge doch gerade die Grenzregion mit dem Oberzentrum Stettin und über einer Million Einwohnern ein enormes wirtschaftliches Potenzial. Wir stellen inzwischen fest, dass immer mehr Händler, Handwerker, aber auch Busfahrer und Werftmitarbeiter ihre Kinder zum Polnischunterricht schicken und sich auch selbst an Kursen in Volkshochschulen anmelden.

Deshalb will der Landkreis nun zunächst in Eigenregie dem deutsch-polnischen Sprachprojekt wieder neues Leben einhauchen. Wir wollen in der Region einen durchgängigen Polnisch-Unterricht von der Kita bis zum Abitur etablieren, sagt Projektleiter Wöll. Polnisch müsste zum Beispiel als Vollfach an Gymnasien, Regional- und möglichst auch an Grundschulen eingeführt werden. Ziel sei eine schulartenübergreifende Polnischdidaktik, die an vorschulischen Sprachkonzepten anknüpfe.