Alltag von Pathologen: «Wir sind nicht Quincy!»

Frankfurt/Main (dpa) – «Dass es so wenig Arbeitsplätze gibt, hätte ich nicht gedacht.» Die Oberschülerin Leila Janssen ist einigermaßen enttäuscht nach dem Vortrag der Frankfurter Rechtsmedizinerin Constanze Niess über ihren Beruf.

Dieser vermittelt weit weniger Spannung und Ermittlerruhm, als es zahlreiche TV-Serien suggerieren. «Samantha Ryan», «Der letzte Zeuge», «Crossing Jordan» oder der schrullig-zynische Professor Börne aus dem ARD-Tatort – die Medizinerin kennt die Glamourvorbilder alle, denen die jungen Männer und noch mehr Frauen nacheifern wollen. Zur Abschreckung bemüht sie den Altvorderen unter den TV-Leichenexperten: «Wir sind nicht Quincy!»

«Was wir wirklich nie machen, ist Zeugen zu befragen oder selbstständig zu ermitteln», berichtet Niess aus ihren zwölf Jahren Berufserfahrung am rechtsmedizinischen Institut der Frankfurter Goethe-Universität. Ein kleiner Tipp an die ermittelnden Polizisten, in eine bestimmte Richtung nachzufragen, das ist schon das Äußerste an kriminalistischer Arbeit im Alltag der Rechtsmediziner. Niess hat sich zudem darauf spezialisiert, die Gesichter unbekannter Toter zu rekonstruieren, um der Polizei die Identifizierung zu erleichtern.

«Wir ziehen hier oft Zähne», sagt die Berufsberaterin Beate Nowak-Possél von der Arbeitsagentur Frankfurt. Über 40 junge Leute haben sich allein bei den vorangegangenen Hochschul-Informationstagen für das Gebiet Forensik interessiert, der Vortrag der Rechtsmedizinerin soll daher zum festen Bestandteil des Beratungsangebotes werden.

An diesem Nachmittag hat die Expertin Niess das Zahnhandwerk übernommen, berichtet von langen Studienzeiten, knappen Stellen und wenig attraktiver Bezahlung nach dem Bundesangestelltentarif. Langfristig steht den Fachärzten für Rechtsmedizin nach mindestens elf Jahren Medizin-Studium und Facharztausbildung nur der Weg in die universitären Institute offen, niederlassen dürfen sie sich nicht.

Gleichwohl hat der Arbeitsalltag der Rechtsmediziner zahlreiche interessante Facetten zu bieten, berichtet die Ärztin, die nach eigener Auskunft eher zufällig in das Exotenfach gerutscht ist. Neben Forschung und Lehre gehören die Arbeit am Seziertisch – das Frankfurter Institut obduziert im Auftrag der Staatsanwaltschaft etwa 600 Leichen pro Jahr – ebenso dazu wie die zahlreichen Gutachten zu ärztlichen Kunstfehlern, Pflegemängeln oder der Schuldfähigkeit Verdächtiger. Die damit verbundenen Auftritte im Gerichtssaal gefallen Niess durchaus, auch wenn sie von den Verteidigern in die Zange genommen wird: «Man muss halt standhaft sein.»

Niessens Chef, Professor Hansjürgen Bratzke, sieht durchaus Vorteile der neuen Lust am Abgründigen im TV-Krimi, die einen kleinen Run auf die früher verpönte Spezialdisziplin ausgelöst hat. «Unsere Angebote gehören zu den am schnellsten ausgebuchten Wahlpflichtfächern im Medizin-Studium, und wir bekommen viel früher Kontakt zu sehr guten Studenten», sagt er. Mit der Realität haben die TV-Stories aber kaum etwas zu tun, betont er. «Was dort gezeigt wird ist Zauberei. Wir können zwar auch zaubern, aber es dauert viel länger.» Von den Geheimnissen der Leichen seien vor allem junge Frauen fasziniert, berichtet der Institutsleiter. «Das Rollenvorbild der taffen Rechtsmedizinerin scheint doch zu wirken.»

Die Abiturientin Nadja Martini will eigentlich lieber «was mit Chemie» machen und sucht Berufsfelder, die ihrer Neigung entsprechen. Nach dem desillusionierenden Vortrag der Rechtsmedizinerin ist sie sicher, dass sie bei der Polizei als Kriminaltechnikerin besser aufgehoben wäre.