Die Stimme wird überstrapaziert und unterschätzt

Krefeld/Berlin (dpa/tmn) – Janine Krasel blickt ihre plappernden Drittklässler intensiv an, spitzt leicht die Lippen und legt einen Zeigefinger an den Mund. So lange, bis es leise genug ist, dass sie mit dem Unterricht beginnen kann.

«Ich habe mir vorgenommen, meine Stimme nicht zu überanstrengen», sagt die Lehrerin aus Krefeld. Früher hat sie oft versucht, ihre Klasse zu übertönen. Irgendwann kam die Einsicht: Schreien macht die Stimme auf Dauer nicht mit. Die Lehrerin merkt, dass ihr jede Erkältung auf den Hals geht. Ein typisches Phänomen bei Menschen in Lehrberufen, bestätigt Prof. Rainer Schönweiler von der Universität Lübeck. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sprach- und Stimmheilkunde (DGSS) und als Phoniater ein auf Stimmerkrankungen spezialisierter Arzt.

Viele Menschen sind im Beruf auf die Stimme angewiesen und sollten sie pfleglich behandeln. Denn bisher gelten laut Schönweiler nur die Berufe von Schauspielern, Sängern, Lehrern, Erziehern, Pastoren und Logopäden als Arbeit, bei der Stimmprobleme zur Berufsunfähigkeit führen können – nicht aber die von Anwälten oder Kundenberatern.

Bei Dozenten oder Feldwebeln spiele vor allem die Leistung eine Rolle, sagt Schönweiler. Soll heißen: Wie laut kann ich sprechen, wie dauerbelastungsfähig ist meine Stimme? Bei Callcenter-Angestellten, oder Verkäufern zähle eher der ästhetische Aspekt: «Eine raue Stimme ruft oft Abwehr hervor.» Heiserkeit weise meist auf Nervosität hin.

«Mit dem Ausdruck unser Stimme erzählen wir oft Dinge, die wir gar nicht vermitteln wollen: Unruhe oder Hektik», ergänzt Maria Brinkhaus-Lukschy vom Deutschen Bundesverband für Logopädie (DBL) in Frechen. Viele Berufstätige suchten bei Stimmtrainern oder Logopäden Rat – um Stimmschäden vorzubeugen, aber auch, um zu lernen, wie sie ungewollte Botschaften vermeiden.

Oft laufe es auf das Gefühl hinaus, die Stimme reiche nicht, «um meine wunderbare Kompetenz rüberzubringen». Vielfach beklagten sich Klienten auch, mitten im Satz keine Luft zum Weitersprechen zu haben oder nicht laut genug zu sein, sagt Brinkhaus-Lukschy. Atemkraft werde oft fälschlicherweise im Hals oder Schultergürtel statt tief aus dem Bauch geschöpft.

Schönweiler empfiehlt weitere Maßnahmen, die jeder anwenden kann. Wichtig seien eine entspannte Körperhaltung und bequeme Kleidung. Schweres Essen sollten vorher ebenso gemieden werden wie Koffein: Tee oder Kaffee trockneten den Mund aus. Üppiges Essen könne Magensäure zurückfließen lassen und sich ebenfalls negativ auswirken.

Wer die Wirkung seiner Stimme verbessern will, ist bei Stimmtrainern wie Thomas Westerhausen richtig. Der ausgebildete Schauspieler aus Bonn verweist auf Studien, wonach Worte und Körpersprache zusammen nur etwa 60 Prozent zur Kommunikation beitragen. «Den Rest erledigt die Stimme», sagt Westerhausen.

«Aber wir sind selten geübt, Enttäuschung oder Vertrauen allein durch die Stimme zu vermitteln.» Wer das lernt, könne ganz anders kommunizieren. Westerhausen erstaunt es immer wieder, wie viele Menschen in einer unnatürlich hohen Stimmlage sprechen. Er rät, etwa vor Besprechungen mehrmals ein zustimmendes «mhm» zu äußern, das aus zwei Tönen besteht: Erst tief, dann hoch und dann immer mehr auf dem tieferen Ton. «So nähern Sie sich Ihrer natürlichen Sprechstimmlage.»