Studieren auch ohne Abitur – Mut ist immer noch gefragt

Gütersloh/Dresden (dpa/tmn) – Lange Zeit ging es gar nicht anders: Wer studieren wollte, brauchte Abitur. Und wer das nicht schon zu Schulzeiten geschafft hatte, musste es auf dem berühmten zweiten Bildungsweg nachholen.

Inzwischen ist das längst nicht mehr zwangsläufig so. In allen Bundesländern gebe es die Möglichkeit zum Studium auch ohne «Abi», sagt Prof. Andrä Wolter von der TU Dresden. Berufstätige, für die das grundsätzlich eine Option wäre, trauen sich das aber nur selten zu.

Ein Grund ist die Angst vor den damit verbundenen finanziellen Belastungen. Die Bundesregierung will dieses Problem nun angehen und den Hochschulzugang für erfolgreich Berufstätige auch ohne Abitur erleichtern. Geplant sind nach Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter anderem sogenannte Aufstiegsstipendien für junge Erwachsene, die eine berufliche Ausbildung mit überdurchschnittlichen Ergebnissen abgeschlossen haben. Es soll sich in der Höhe an das aktuelle Bafög anlehnen und müsse nicht zurückgezahlt werden, so eine Ministeriumssprecherin in Berlin.

Die Diskussion über einen leichteren Hochschulzugang für Nicht-Abiturienten ist nicht neu. Unter verschiedenen Vorzeichen wurde sie in den vergangenen Jahrzehnten immer mal wieder geführt. Viel gebracht hat das bisher nicht. Der Anteil der Studierenden ohne Abitur schwanke von Bundesland zu Bundesland deutlich, liege im Schnitt aber nur bei einem Prozent, sagt Prof. Wolter. Diese Zahl sei «deprimierend» gering. Tatsächlich könnte es deutlich mehr Studierende ohne klassisches Abitur geben, so der Bildungsforscher. «Viele, für die das infrage käme, wissen davon gar nichts.»

Zugegebenermaßen seien die Voraussetzungen dafür auch nicht leicht zu durchschauen, sagt Sigrun Nickel vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh. Denn die Regelungen sind so unterschiedlich wie die Hochschulpolitik der Bundesländer insgesamt. «Zum Teil gibt es Zulassungsprüfungen, manche Hochschulen bieten ein Probestudium an, andere akzeptieren den Meistertitel als Zulassungsvoraussetzung», erklärt Prof. Wolter.

«Das ist schon ein Nachteil», so Bildungsexpertin Nickel. Dem kann Henning Dettleff von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) in Berlin nur zustimmen. Hinzu komme, dass es nicht nur 16 verschiedene Regelungen gebe, sondern einige Länder das Thema sogar «restriktiv» handhaben.

Die Hochschulen seien auch nicht verpflichtet, Nicht-Abiturienten aufzunehmen, sagt Sigrun Nickel. Schließlich müssten sie idealerweise entsprechende Betreuungsangebote organisieren, sogenannte Brückenkurse etwa, die Studienanfänger ohne Abi gezielt auf die Anforderungen des Studiums vorbereiten oder zusätzliche Veranstaltungen nur für diese Gruppe von Studienanfängern. Das sei aber nicht der Regelfall – auch weil es mit viel Aufwand verbunden ist. Wer ohne Abitur an eine Hochschule will, sollte sich also rechtzeitig informieren, wo das möglich ist und wie die Betreuungsangebote sind.

Tatsächlich sei der Entschluss, aus dem Berufsleben aus- und in das Studium einzusteigen, auch ein «großer biografischer Schritt mit erheblichen Risiken», sagt Prof. Wolter. In Deutschland gebe es einen erheblichen Mangel an Teilzeitstudiengängen, so dass Berufstätige sich in der Regel immer gegen ihren Arbeitsplatz entscheiden müssen, wenn sie studieren wollen.

Wer nicht mehr arbeitet, müsse neben anderen Herausforderungen den Wegfall seines Einkommens schultern. Die Pläne der Bundesregierung, mit sogenannten Aufstiegsstipendien Studierwillige ohne Abitur zu unterstützen, sei deshalb «absolut vernünftig». Auch Sigrun Nickel ist überzeugt, dass solche finanziellen Hilfen dazu beitragen, dass Berufstätige sich eine solche Entscheidung überhaupt zutrauen.

Die Chancen seien gut, dass deren Zahl künftig spürbar steige, sagt Henning Dettleff von der BDA. Realistisch sei, dass ihr Anteil in den kommenden Jahren auf fünf Prozent wächst. Vor dem Hintergrund des aktuellen Mangels an qualifizierten Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt sei das auch wünschenswert.

Nach den bisherigen Erfahrungen mit Studierenden ohne Abitur sind deren Perspektiven kaum anders als die von solchen mit klassischer Hochschulzugangsberechtigung: Absolventenstudien der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP) – inzwischen ein Teil der Universität Hamburg – hätten gezeigt, dass sie im Studium sogar ausgesprochen erfolgreich seien, sagt Sigrun Nickel. «Auch die Gehaltsperspektive ist die gleiche.»

Das schätzt Prof. Wolter ganz ähnlich ein: «Die Abbruchquoten sind nicht höher. Und die Studienzeiten sind auch nicht länger.» Das liege allerdings möglicherweise auch daran, dass es bisher fast ausschließlich die Hochmotivierten seien, die sich zu dem Schritt entschließen, aus dem Beruf ins Studium zu wechseln. Für die Arbeitgeber seien Hochschulabsolventen mit Berufserfahrung in jedem Fall interessant, betont Henning Dettleff. Und in den Unternehmen setze sich zunehmend der Trend zur «Kompetenzorientierung» durch: Ob jemand Abitur hat oder nicht, werde bei der Einstellung immer weniger wichtig, gerade für solche qualifizierten Bewerber, die es ohne «Abi» bis zum Studienabschluss geschafft haben.