Zehn Jahre nach der allgemeinen Einführung der verkürzten Gymnasialzeit G8 ist vielerorts wieder G9 im Aufschwung.
Für die neunjährige Katrin scheint alles ganz einfach. «Auf dem Gymnasium ist es schwerer, da werden die Noten schlechter. Aber wenn ich G8 mache, bin ich dafür früher fertig», erzählt die Frankfurter Viertklässlerin. Wie viele ihrer Mitschüler bekommt sie mit dem Halbjahreszeugnis von ihrer Klassenlehrerin die Empfehlung fürs Gymnasium. Damit beginnt nicht nur in ihrer Familie die Qual der Wahl. Vor allem in den Städten, wo die Auswahl an Schulen groß ist, zerbrechen sich die Eltern die Köpfe. Können und sollen sie ihrem Kind das verdichtete Lernen auf dem Weg zum Abitur zumuten? Die Frage stellt sich nicht zuletzt deswegen, weil viele Bundesländer in Sachen Gymnasialreform wieder ein Stück zurückrudern. In Katrins Bundesland Hessen beispielsweise können Gymnasien seit Schuljahresbeginn 2013/2014 zu G9 zurückkehren. In Baden-Württemberg hat das Kultusministerium gerade ein Konzept für einen G9-Schulversuch erarbeitet: Schüler können an 44 Modellschulen wieder das Abitur nach neun statt nach acht Jahren erwerben. «Damit möchten wir der großen Nachfrage der Eltern nach G9 gerecht werden», sagt Ministeriumssprecherin Christine Sattler. Selbst ostdeutsche Bundesländer wie Sachsen-Anhalt, die traditionell G8-Länder sind, entwickeln inzwischen zunehmend G9-Alternativen, sagt Karina Kunze aus dem Kultusministerium. In Nordrhein-Westfalen wiederum wird G9 an 252 Gesamtschulen, 379 Berufskollegs, 42 Sekundarschulen, 12 Gemeinschaftsschulen und 13 Gymnasien angeboten, G8 an 614 Gymnasien. «Der Großteil der Gymnasien hat sich aber bewusst für die Beibehaltung und Optimierung von G8 entschieden», teilt Schulministeriumssprecherin Eva Stannigel mit. Mit einer besonderen Möglichkeit wartet das Land Bayern auf: Bayerische Gymnasiasten können sich in den Jahrgangsstufen acht bis zehn für ein zusätzliches Schuljahr mit verschiedenen individuellen Förderangeboten oder auch für einen Auslandsaufenthalt entscheiden. Das einzige Land, in dem sich nichts ändert, scheint Rheinland-Pfalz zu sein. «G8-Ganztagsgymnasien werden nur dort genehmigt, wo ein alternatives gymnasiales G9-Angebot erreichbar ist», sagt Ministeriumssprecher Wolf-Jürgen Karle. Wer die Wahl zwischen verschiedenen Schulen mit unterschiedlichen Wegen zum Abitur hat, sollte aber trotz allem nicht nur auf G8 oder G9 blicken, rät die stellvertretende Bundeselternratsvorsitzende Ursula Walther. «Es kommt schließlich immer auf die konkrete Schule an. Welche fachlichen oder pädagogischen Schwerpunkte hat sie?» Ähnlich urteilt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung: «Es gibt viele Kriterien für die Schulwahl.» Die Frage G8 oder G9 sei nur eins. Weiter geht der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Josef Kraus: Haben Familien die Wahl, sollten sie sich für G9 entscheiden. Einzige Ausnahme sei, dass das Kind so schnell lernt, dass es sich sonst langweilen würde. Er bedauere, dass Jugendlichen durch G8 viel Zeit für ihre persönliche Reifung verloren gegangen sei. Das bekräftigt auch Ilka Hoffmann, Leiterin des Organisationsbereichs Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Ansonsten sei aber genau so wichtig, was darüber hinaus in der jeweiligen Schule passiert. «Wie ist das Klima? Gibt es ein schulinternes Förderkonzept?» Mag sein, dass die kleine Katrin zu den Kindern gehört, die so schnell lernen, dass sie in einem G8-Gymnasium gut aufgehoben ist. Zeit für ehrenamtliches Engagement wird ihr trotzdem fehlen, meint der hessische Landesschülersprecher Armin Alizadeh. «Wer die Wahl hat, sollte sich deshalb immer für G9 entscheiden», sagt Alizadeh.