Bilinguale Betreuung: Deutsch-chinesische Kita

Berlin (dpa) ­ Tristan besitzt einen kostbaren Schatz. Der 4-jährige Blondschopf spricht fließend Englisch, Deutsch und Chinesisch ­ eine wertvolle Ressource, die ihm später einmal Tür und Tor öffnen könnte.

Denn die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wird immer stärker, die Wirtschaft steht schon längst im Zeichen der Globalisierung. Talentierter Nachwuchs mit Fremdsprachenkenntnissen ist deshalb heiß begehrt. Diese Entwicklung motiviert viele Eltern, für ihre Sprösslinge einen Platz in einer der mehr als 600 zweisprachigen Kitas in Deutschland zu ergattern. Dort wird den Kindern nicht nur Deutsch, sondern gleichzeitig eine Fremdsprache vermittelt.

Tristan konnte bereits Chinesisch, als seine Eltern mit ihm von Malaysia nach Berlin zogen. Nun gehört der Junge zu den 14 Kindern im Alter zwischen einem Jahr und sechs Jahren, die in Yuhang Yuans deutsch-chinesischer Kindertagesstätte im Berliner Stadtteil Prenzlauer-Berg bilingual aufwachsen. Sie ist nach Yuhang Yuans Worten die erste deutsch-chinesische Kita der Hauptstadt. Ein ähnliches Modell gebe es bislang nur in München. Die 28-jährige Chinesin gründete den Kindergarten im Oktober 2008 zusammen mit dem Ehepaar Jianqiu Wang und Matthias Kannegiesser. Der Andrang sei groß. 40 Kinder stünden momentan auf der Warteliste. Die Eltern müssen für den Besuch ihrer Knirpse in der öffentlich geförderten Kita noch einen monatlichen Betrag von 50 Euro zahlen.

Eine zweite Kita wird eröffnet, sobald passende Räume gefunden sind, sagt Yuhang Yuan. Ob man einen Platz bekommt, wird im Gespräch mit den Eltern entschieden. Wer sich nur für die Karriere des Nachwuchses interessiert, hat schlechte Chancen: «Wir sind keine Eliteschmiede, die kleine Manager heranzieht», sagt Yuhang Yuan. Im Vordergrund stehe der kulturelle Austausch. Die Kleinen sollen spielerisch Chinas Geschichte, Kultur und Sprache kennenlernen. Vier Erzieherinnen gibt es in der Tagesstätte, zwei Deutsche und zwei Chinesinnen. Jede spricht ausschließlich in ihrer Landessprache mit den Kindern.

«Auf diese Weise können die Kinder ein gutes Sprachbewusstsein und ein Gefühl für unterschiedliche Sprechmelodien und -rhythmen entwickeln», sagt die Bonner Pädagogin Anja Leist-Villis. Dies käme ihnen auch beim weiteren Lernen von Fremdsprachen zugute. Dass Mädchen und Jungen allein durch den Besuch eines zweisprachigen Kindergartens eine Fremdsprache erwerben, hält sie allerdings für unwahrscheinlich: «Die Kinder werden sich sicher einzelne Lieder oder Reime aneignen, eine große Bedeutung wird die fremde Sprache für sie aber nicht spielen, solange sie nicht auch im weiteren Umfeld entsprechende Kontakte haben.»

Ähnlich sieht das Annette Lommel vom Kieler Verein für Frühe Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen: «Sich aktiv über die Zweitsprache zu verständigen, lernen Kinder erst in der Grundschule.» Deshalb fordert Lommel einen nahtlosen Übergang vom Kindergarten in die Schule: «Wenn außer dem Fach Deutsch der gesamte Unterricht von der ersten Klasse an in der Zweitsprache stattfindet, lernen die Schüler unglaublich viel. Sie konzentrieren sich auf den Inhalt, die Sprache fällt nebenbei ab.» Außerdem habe die Europäische Union sowieso schon vor sechs Jahren vereinbart, dass alle EU-Bürger künftig von klein auf zwei Fremdsprachen lernen sollen, sagt Lommel.

Um einen effektiven Lernprozess zu unterstützen, möchte Yuhang Yuan zusätzlich zur Kita einen Hort einrichten. Diesen können Schüler nach dem Unterricht besuchen, um ihr Chinesisch weiter auszubauen. Auch die Eltern der Knirpse haben die Chance, im Rahmen spezieller Kurse selbst erste Gehversuche in der exotischen Sprache zu wagen. Denn die meisten Mütter und Väter seien Deutsche und hätten keinerlei Bezug zu China, erzählt Yuan. Im Moment sind die Kinder ihren Eltern aber noch einen großen Schritt voraus. Energisch hopsen sie auf der roten Matratze im Spielzimmer der Kita, singen lauthals und scheinbar mühelos die chinesische Version des englischen Lieds über Old MacDonald und seine Farm. Die ganz Kleinen unter ihnen kümmert es sowieso nicht, ob Deutsch, Englisch oder Chinesisch. «Sie wissen noch gar nicht, dass sie zwei unterschiedliche Sprachen erwerben. Das Bewusstsein entwickelt sich erst später», erklärt Leist-Villis.