Studium mit Seltenheitswert: Warum Orchideenfächer?

Hamburg/Augsburg (dpa/tmn) – Selten sind sie und nach Meinung vieler Experten durchaus wertvoll: die Orchideenfächer an deutschen Hochschulen. Die Fächer heißen beispielsweise Musikethnologie, Mongolistik, Bohemistik oder Ägyptologie.

Außenstehende können sich darunter meist so gar nichts vorstellen. Ein aussichtsloses Studium ist das aber nicht: Absolventen haben als Quereinsteiger durchaus Chancen. Meist sind es die Geisteswissenschaften, in denen die Fächer mit einer Handvoll Professoren und ein paar Dutzend Studierenden angesiedelt sind. Doch es gibt auch naturwissenschaftliche Disziplinen wie Mineralogie, die zu den «Orchideen» gezählt werden.

Jüngst sprach sich der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart für den Erhalt dieser Studiengänge aus. An den Hochschulen seines Landes halte er sie für «absolut unverzichtbar». Die kleinen Fächer seien «gut in der Lehre und teilweise Spitze in der Forschung».

Und damit nicht genug: Wer Baltistik oder Arabistik für brotlose Kunst hält und Absolventen auf dem direkten Weg in ein Leben als Taxifahrer sieht, wird von Experten eines Besseren belehrt. Noch im frühen 20. Jahrhundert habe die Quantenphysik innerhalb der Physik als Orchideenfach gegolten, sagt Jens Hohensee in Hamburg, der für die Beraterfirma Kienbaum arbeitet. Die Chancen seien nicht schlecht, als Exot unter den Absolventen in einer Unternehmensberatung, einem großen Industrie- oder Wirtschaftsunternehmen unterzukommen, sagt der Berater, der selbst Geschichte, Politikwissenschaft und Arabistik studiert hat.

So würden bei vielen Auswahl-Verfahren einige Prozent der Plätze speziell für jene Absolventen offengehalten, die nicht aus den Wirtschaftswissenschaften, dem Ingenieurwesen oder der Juristerei kommen, erläutert er. «Gerade die Geisteswissenschaftler können frisches Denken reinbringen.» Auch hätten sie ein hohes Maß an Flexibilität und eine rasche Auffassungsgabe, die ihnen hilft, sich schnell in neue Wissensgebiete einzuarbeiten.

«Nur 50 Prozent des Erfolgs hängt von der fachlichen Qualifikation ab», betont Hohensee. Die andere Hälfte machten die Soft Skills aus, von denen Geistes- und Sozialwissenschaftler häufig mehr besitzen: «Dazu gehören nicht nur die Team- und Kommunikationsfähigkeit, sondern auch die Fähigkeit, sich schnell auf neue Situationen einzulassen, Empathie und das Schaffen von Vertrauen.»

All dies müssen Studenten etwa in Kanadistik mitbringen – schließlich gehört es für sie dazu, sich auf andere Kulturen einzulassen. «Das gibt es gar nicht, dass ein Kanadistik-Student nicht mindestens ein Jahr in Kanada war», erzählt Prof. Rainer-Olaf Schultze, der das Fach an der Universität Augsburg lehrt.

Ein solcher Austausch ist nicht nur ein persönliches Highlight für die meisten Studenten. Die Erfahrungen zahlen sich später auch im Berufsleben aus: «Die Studierenden haben ein hohes Maß an Motivation», erläutert Schultze. Und die außergewöhnlichen Inhalte machen Studenten zu seltenen Experten. «Davon profitieren die Absolventen – zumal es nicht so viele sind.»

Klar sei allerdings auch, dass Endlosstudenten aus Orchideenfächern eher Probleme auf dem Arbeitsmarkt bekommen als andere, sagt Berater Hohensee. «Man muss schon eine Affinität zur freien Wirtschaft mitbringen und sich nach Möglichkeit während des Studiums noch zusätzlich qualifizieren.» Dazu bieten sich Praktika oder Kurse in Betriebswirtschaft, Kommunikation oder Marketing an, wie sie häufig an der Uni angeboten werden.

Ins Studium gehören auch Praktika und freie Mitarbeit, sagt Dirk Erfurth, Geschäftsführer des Instituts Student und Arbeitsmarkt, das an der Ludwig-Maximilians-Universität in München angesiedelt ist. Und das nicht nur aus strategischen Gründen oder weil es sich gut im Lebenslauf macht. «Man kann dann in der Praxis prüfen, ob es sich lohnt, was man theoretisch an der Uni lernt – oder auch Betätigungsfelder entdecken», sagt Erfurth. Ein Praktikum sei nicht nur ein «Realitäts-Check», sondern gebe oft auch einen Motivationsschub.

Derzeit arbeiten die meisten Quereinsteiger in der freien Wirtschaft laut Hohensee in drei Sparten – im Marketing, im Personal und in der Kommunikation. Dank des demografischen Wandels erweitern sich die Betätigungsfelder aber. So könne ein vertriebsstarker Geisteswissenschaftler auch als Key Account Manager Erfolg haben, meint Hohensee. «In das Fachliche kann man sich allemal einarbeiten.»