Unternehmen entdecken das Web 2.0 mit Blogs und Wikis

Hannover/Gran Canaria (dpa) – Seine Bürotage begann Luis Suarez jahrelang mit einem lästigen Ritual: 30, 40 neue E-Mails warteten darauf, gelesen, beantwortet oder gleich gelöscht zu werden.

Bis der IBM-Manager richtig loslegen konnte, dauerte es oft Stunden. Vor einem Jahr hatte er genug. In seinem Blog im Internet kündigte er seinen erstaunten Kollegen an, E-Mails aus seinem Arbeitsleben zu verbannen. Wer etwas von ihm wolle, könne sich gerne melden – etwa über das IBM-interne Online-Netzwerk, das «Facebook» ähnelt, und per Chat. Oder warum nicht gleich per Telefon?

Millionen von Menschen weltweit nutzen die Technologien des Web 2.0 – das sogenannte «Mitmach-Internet» – privat. Doch auch immer mehr Firmen experimentieren mit Blogs, Wikis und sozialen Netzwerken. Es geht nicht nur darum, die Mail-Flut einzudämmen. «Wenn Wissensarbeiter über Abteilungs- und gar Unternehmensgrenzen hinweg kooperieren, können sie ihre Produktivität steigern», sagt Mathias Weber vom IT-Branchenverband BITKOM. Wichtige Infos sollen nicht in Mail-Fächern versauern, Ideen nicht in den Köpfen der Mitarbeiter verborgen bleiben. Die modische Bezeichnung dafür: «Enterprise 2.0».

Wenn Kollegen etwas von Luis Suarez wissen wollen, antwortet er jetzt im unternehmensinternen Blog. Alle Mitarbeiter des Computer-Riesen finden die Antwort dort direkt oder über den Umweg der IBM-internen Suchmaschine. «Man kann zeigen, wovon man Ahnung hat», sagt Suarez. Wenn viele Mitarbeiter aus ihrem Alltag plaudern, so seine Hoffnung, entsteht eine Karte mit Wissensströmen, die vormals unsichtbar waren. «Ich will die Kommunikation vom Privaten ins Öffentliche bringen», sagt Suarez, der als «Social Computing Evangelist» bei IBM neue Kommunikationstechniken einführen soll.

Auch soziale Online-Netzwerke weisen den Weg zum Wissen. IBM-Mitarbeiter Suarez ist in seiner Heimat Gran Canaria nur einen Klick von Kollegen in Amsterdam, New York oder Berlin entfernt. Auch flüchtige Bekanntschaften bleiben im Blick – dank des Fotos im Profil und einer Art Ticker, der über Aktivitäten der Freunde und Kollegen informiert. Diesen Effekt beschreibt Jeffrey Mann, Analyst bei dem Marktforschungsunternehmen Gartner, als die «Kraft der schwachen Verbindungen»: «Es kann für Wissensarbeiter sehr wertvoll sein, mit vielen Leuten lose im Kontakt zu sein.»

Wenn Suarez mit Kollegen an einer Präsentation arbeitet oder einen der unbeliebten Statusberichte verfassen muss, nutzt er ein Wiki. Wie im Online-Lexikon Wikipedia können alle Mitarbeiter gemeinsam den Text bearbeiten, ohne dauernd Aktualisierungen herummailen zu müssen. «Dieses Instrument lässt sich am einfachsten in Unternehmen einführen», sagt Gartner-Analyst Mann. Auch in Deutschland werkeln bereits zahlreiche Projektteams mit diesem Instrument, wenn auch der Einsatz im kompletten Unternehmen noch selten ist.

Luis Suarez kann sich ein Leben ohne Blogs, Wikis und Co. nicht mehr vorstellen. Doch «Enterprise 2.0» lässt sich nicht herbeibeamen. Laut einer BITKOM-Studie unter 400 zumeist techniknahen deutschen Unternehmen glauben zwar neun von zehn Entscheidern, dass Web-2.0-Technologien an Bedeutung gewinnen werden, aber nur jeder zehnte bezeichnete sie als Investitionsschwerpunkt.

Viele Chefs haben Sicherheitsbedenken gegenüber der noch jungen Technologie. Und was passiert eigentlich, wenn Mitarbeiter ganze Tage mit Blogeinträgen verschwenden? Oder wenn sie dem Chef eine Beleidigung auf der Pinwand im Online-Netzwerk hinterlassen? «Das Unternehmen sollte Regeln aufstellen, worüber man bloggen sollte und wie viel Zeit man dafür hat», stellt Gartner-Experte Mann klar.

Dennoch könnte der neue Ansatz einen Kulturschock auslösen. «Es handelt sich um eine Unternehmensphilosophie, nicht bloß um den Einsatz einer Technologie», sagt BITKOM-Experte Weber. Der Chef müsse bereit sein, Mitarbeitern mehr Verantwortung und Freiraum zu lassen. Die Mitarbeiter wiederum müssen Lust aufs Mitmachen haben. «Ich nutze die Community – aber ich gebe ihr auch etwas zurück», sagt Luis Suarez. Wer fragt, muss anderen auch antworten – nur nicht per Mail.