Germanisten brauchen mehr als Spaß an Büchern

Freiburg (dpa/tmn) – Der typische Germanist trägt eine Brille und war schon als Kind ein Bücherwurm. Er konnte in der Schule Schillers «Glocke» und Goethes «Zauberlehrling» auswendig aufsagen, und in Poesiealben hat er «Lesen» als Hobby eingetragen. Soweit das Klischee.

Tatsächlich müssen Germanistik-Studenten aber mehr mitbringen als Spaß an dicken Büchern. «Viele haben da falsche Vorstellungen und denken: Wenn ich in der Schule gut in Deutsch war und gerne lese, ist das das Richtige für mich», sagt Prof. Martin Huber vom Deutschen Germanistenverband in Freiburg. Zu einem Germanistikstudium gehöre aber nicht nur, im Café zu sitzen und gemütlich den neuen Roman von Sven Regener oder Daniel Kehlmann zu lesen. «Man muss sich vielmehr häufig mit Texten auseinandersetzen, die einem erstmal fremd sind. Und man darf auch nicht gleich die Lust verlieren, wenn einem ein Thomas-Mann-Roman auf den ersten Seiten vielleicht noch nicht so zusagt.»

Inhaltlich lässt sich die Germanistik Prof. Huber zufolge in drei Disziplinen unterteilen: Im Teilbereich «Neuere deutsche Literatur» geht es darum, Erzähltexte, Dramen und Gedichte aus der Zeit vom 16. Jahrhundert bis heute zu interpretieren. In der Mediävistik müssen Studenten auch Mittelhochdeutsch lernen, und in der Linguistik werden zum Beispiel Grammatik und Kommunikationstheorien durchgenommen.

Das ist aber noch nicht alles, was für Germanisten auf dem Lehrplan steht: «In dem Fach muss man interdisziplinär arbeiten», erläutert Prof. Huber. Zum Beispiel sei auch Geschichte wichtig, weil viele Werke nur aus ihrer Zeit heraus verstanden werden können.

Diese Vielseitigkeit der Disziplin ist offenbar gefragt: Laut dem Statistischen Bundesamt in Wiesbaden ist Germanistik eines der beliebtesten Fächer in Deutschland. Im vergangenen Wintersemester haben sich 13 202 Studienanfänger für das Fach entschieden. Insgesamt gab es 82 110 Studenten – das ist die drittgrößte Gruppe unter den fast zwei Millionen Hochschülern hierzulande.

Die Abbruchquote ist allerdings hoch: Jeder Dritte (32 Prozent) wirft in dem Fach das Handtuch – der Schnitt liegt nur bei 21 Prozent. Das hat das Hochschul-Informations-System (HIS) in Hannover in einer Befragung von Absolventen des Jahrgangs 2006 ermittelt. Demnach ist der Anteil der Abbrecher aber gesunken: Beim Jahrgang 2002 lag er noch bei 45 Prozent.

Ein Grund für die Abbrüche sei, dass manche sich über ihre Studienmotivation im Unklaren sind, sagt Prof. Huber. «So ein Fach zieht leider viele an, die nicht genau wissen, was sie machen wollen.» Die Umstellung auf den Bachelor habe das Problem aber etwas abgemildert. So sei das Studium verschulter geworden, Studienanfänger hätten dadurch aber weniger Orientierungsprobleme. In den Sprach- und Kulturwissenschaften sind bereits knapp 61 Prozent der Studiengänge auf Bachelor und Master umgestellt.

Für Absolventen in dem Fach gebe es kein festes Berufsziel, erläutert Huber. Dennoch sei die Germanistik keine brotlose Kunst. «Eigenschaften wie Kommunikationsfähigkeit sind in vielen Bereichen gefragt – ob im Journalismus oder im Personalwesen.» Die Statistik belegt das: Laut dem HIS sind 86 Prozent der Absolventen fünf Jahre nach dem Abschluss erwerbstätig, und nur ein Prozent ist arbeitslos.