Task Force gegen Studentenansturm

Die hessischen Hochschulen platzen derzeit aus allen Nähten.

Für das Wintersemester gibt es einen Rekordansturm an Studienbewerbern, so dass in Gießen und Frankfurt schon Lehrbetrieb auch abends und am Wochenende vorgesehen ist.
Dennoch müssen die Hochschulen weiter um die Gunst der Studenten buhlen. Die Zahl der relativen Studienanfänger sei ausschlaggebend für die Zuschüsse aus dem Hochschulpakt 2020, sagt der Sprecher der Hochschule Darmstadt, Martin Wünderlich, bei einer dapd-Umfrage.

Die Lehranstalten stehen deshalb im Wettbewerb um die Gunst der Studienanfänger, obwohl sie wegen der Aussetzung der Wehrpflicht und den doppelten Abiturjahrgängen nach Verkürzung der Gymnasialzeit
(G8) an ihren Grenzen angekommen sind. An der Frankfurter Goethe-Universität wurde daher eigens eine «G8-Task Force» gegründet. Leitende Angestellte der Uni sollen die Hochschule auf die hohe Zahl der Studenten vorbereiten. Mit fast 81.400 Anträgen gegenüber den 61.700 aus dem vergangenen Wintersemester ist die Zahl der Bewerber sprunghaft gestiegen. «Es ist fast die Zahl der Bewohner einer Großstadt, Aschaffenburg ist zum Beispiel deutlich kleiner» setzt der Sprecher der Goethe-Universität, Olaf Kaltenborn, den logistischen Aufwand in Perspektive. «Wir können es jedoch vermeiden auf Baumärkte, Kinos oder gar Kirchen auszuweichen», scherzt er.

Vorlesungen in der Kirche sowie am Wochenende und abends

Letzteres ist in Kassel im kommenden Wintersemester wie schon im Vorjahr tatsächlich der Fall: Die evangelische Auferstehungskirche in der nordhessischen Großstadt wird als Hörsaal genutzt. Ausgelegt sind die Räume der Hochschule auf maximal 12.000 Studierende, «10.000 zusätzliche Studierende führen naturgemäß dazu, dass es in den Hörsälen und Seminarräumen mehr als eng wird», sagt der Sprecher der Universität Kassel, Guido Rijkhoek.

In Darmstadt müssen die Studenten den Vorlesungen weiter in Containern lauschen, die eigentlich nur während der Sanierung des Hochhauses als Ausweichraum dienen sollten. Die Zahl der Studierenden habe sich an der Hochschule Darmstadt in den vergangenen fünf Jahren mindestens verdoppelt, sagt Sprecher Wünderlich.

Das Zeitfenster der Lehrveranstaltungen wird zudem an vielen Hochschulen ausgedehnt, um die Räume effektiver zu nutzen. In Frankfurt werde erwägt, Vorlesungen und Seminare erstmal abends und am Wochenende zu halten, sagt Universitätspräsident Werner Müller-Esterl. In Gießen ist dies bereits beschlossene Sache.
Während einige Vorlesungen bereits früh morgens beginnen, enden andere erst gegen 20 Uhr, sagt die Sprecherin der Universität Gießen, Lisa Dittrich. Außerdem gebe es an den Wochenenden Blockveranstaltungen. «Die Maßnahmen aus dem Hochschulpakt 2020 reichen nicht aus», betont sie.

Die Budgetkürzungen aus dem Hochschulpakt in Höhe von 30 Millionen wurden unter anderem von der Technischen Universität Darmstadt heftig kritisiert. Auch sie stößt derzeit an ihre Grenzen.
Mit bis zu 25.000 Studenten im kommenden Wintersemester verzeichne die Technische Universität Darmstadt binnen fünf Jahren einen Anstieg von einem Drittel, sagt der Sprecher Jörg Feuck. Die Universität könne jedoch «nicht im gleichen Maße mitwachsen».
Studiengänge wie Soziologie, Bau- oder Umweltingenieurwesen seien nun zulassungsbeschränkt, da sie «einfach zugelaufen» seien. Gerade für die Ingenieurwissenschaften gebe es deutlich zu wenig Mittel, kritisiert Feuck.

Damit der Flut von Studenten ausreichend Lehrpersonal gegenübersteht, mussten weitere Dozenten eingestellt und Professuren doppelt besetzt werden. In Marburg wurden mit Mitteln aus dem Hochschulpakt 2020 und dem Forschungsförderprogramm des Landes Hessen etwa 40 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. An der Goethe-Universität Frankfurt wurden 50 zusätzliche Dozenten eingestellt. Auch die Hochschulen in Gießen, Darmstadt und Kassel haben diesbezüglich aufgestockt.

Studenten zu Protesten aufgefordert

Die Forderungen ans Kultusministerium werden indes immer lauter.
Alle Hochschulen in Hessen seien unterfinanziert, klagt der Sprecher der RheinMain Hochschule in Wiesbaden, Ernst-Michael Stiegler. Er rechnet im kommenden Wintersemester an der Fachhochschule mit 15 Prozent mehr Studenten im Vergleich zum vergangenen Wintersemester.

Die Not der Hochschulen treibt mittlerweile kuriose Blüten. So fordert Stiegler die Studenten offen zu Protesten auf. Die Politik reagiere nur zögerlich, allerdings liege es auch in der Hand der Studenten, auf das Problem aufmerksam zu machen. Wie in den vergangenen Jahren im Rahmen des Bildungsstreiks bereits geschehen, «müssen sie eben auch wieder auf die Straße gehen», sagt der Sprecher der Fachhochschule.